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Eine Welle von Neid und Wut, die der FPÖ entgegenschlug

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Und religiöse Aufladungen, die das politische Klima blitzschnell verändern.


In Italien würde der Kauf einer Gucci-Tasche durch einen Rechtspopulisten niemanden aufregen. Dort erwirbt man sie spottbillig bei den Straßenhändlern. In Wien kosten sie als Damen-Accessoire mindestens 1000 Euro. HC Strache hat eine nebst Chanel-Kostüm für seine Philippa gekauft - wie das "wahre Volk" vermutet, aus jenem Spesenkonto, das letztendlich von Steuergeld gespeist wird. Die Nachricht wurde zum Lauffeuer, eine halbe Million freiheitlicher Wählerinnen und Wähler gaben ihrer Partei den Laufpass. Eine Massenscheidung.

55 Prozent gingen zu Sebastian Kurz und der ÖVP, 45 Prozent ins Lager der Nichtwähler. Noch fünf Tage vor der Wahl hatte die FPÖ gut 20 Prozent am gesamten Kuchen, an den Urnen der rechtspopulistischen Hoffnungen waren es am Sonntagabend dann nur noch 16 Prozent. Eine Abrechnung. Ihre Ursache? Eine Neidwelle, die wie ein Tsunami über die österreichischen Populisten hereingebrochen ist. Sie bedeutet keineswegs, dass jetzt alle Frauen Gucci tragen wollen, hat aber eine Empörung über jene ausgelöst, die sich die großen Modemarken leisten können.

Dem Neid folgte das Gefühl des Verrats. Just jene, die sich wie Strache als eins mit dem Volk plakatieren ließen, nutzten ihren Aufstieg in den Augen ihrer Wählerinnen und Wähler nicht zu mehr Einsatz, sondern zu mehr "Kohle" in ihren profanen Taschen. Sie wechselten auf die Seite der "Reichen". Ihre bisherigen Fans spürten, dass die FPÖ sich zwar sozial gibt, in Wahrheit aber eine neoliberale Wirtschaftspartei ist. Alte (unter Bruno Kreisky geschaffene) Privilegien wie Geld fürs Heiraten und fürs Kinderkriegen sind entweder abgeschafft oder abgeschliffen, die SPÖ kann nichts mehr bieten, und selbst die "Arbeiterpartei" FPÖ ist nicht mehr das, was sie unter Jörg Haider einmal war. Maria Sterkl ("Der Standard") hat in Wien-Favoriten einen Satz einer 65-Jährigen eingefangen, die den Sozialstaat in den Tiefen ihrer Seele verankert hat und sich deshalb beschwert: "Selbst schwere Krankheiten brechen über uns ohne Vorwarnung herein." Aber würde ihr ein Gucci-Tascherl über die Klippen helfen?

Der Noch-Ex-Kanzler entspricht einer unnahbaren Priestergestalt

Da ist "Kurz noch der Beste". Fast hätte die ältere Frau aus Favoriten hinzugefügt: "Der hat noch Anstand. Und er hat immer denselben dunklen Anzug an." Tatsächlich kommt er wie der Angehörige eines Laienordens daher. Tlapa-Dress als Uniform, Bescheidenheit pur, gute Voraussetzungen für evangelikale Weihen in der Wiener Stadthalle. Der türkise Spitzenkandidat hat es verstanden, seine Attraktivität in die Massen hinein zu steigern, aber in kleineren Dosen zu entfalten. "Wenn Ansteckung in einer Ansammlung von Körpern ihre Zauberkraft entfaltet," schreibt der US-Wirtschaftspsychologe William Davies, "setzt sie den freien Willen außer Kraft." Sie verwandelt ihn in einen Glauben.

Der Faschismus war eine säkulare Religion, der rechte Popopulismus sei es nicht, schreibt Isolde Charim in ihrem Buch "Ich und die anderen". Da ist ihr zu widersprechen. Viktor Orbán beispielsweise arbeitet durchaus mit religiösen Aufladungen und hat eine nationalistische Version des ungarischen Christentums entwickelt. Und so profan, wie Charim tut, ist die Gesellschaft längst nicht mehr. Sie nennt es ja selbst "partielle Säkularisierung". Der Noch-Ex-Kanzler entspricht einer letztlich unnahbaren Priestergestalt. Er eignet sich also nicht als Neid-Auslöser. Er scheint jeder und jedem den Platz anzubieten, der eigentlich ihm zusteht. Es huscht ein Staunen über sein Gesicht, wenn er angesprochen wird. Er wird öffentlich nie wirklich laut. Er wirkt wie einer von vielen. Neid ist eine von sieben Todsünden. In der verweltlichten Gesellschaft ist er keine "giftige Kröte" (Zitat Arthur Schopenhauer) mehr, sondern eine Untugend, die es zu überwinden gilt. Umso schlimmer, wenn ein Ex-Parteichef diese Kröte wiederbelebt und zum Speien bringt.

Neben den religiösen Anklängen spielt auch die zunehmende Frequenz von Demonstrationen und Massenaufmärschen eine große Rolle. Entweder durch Identifikationsfiguren wie die schwedische Jeanne d’Arc, Greta Thunberg, oder die Menschenmassen der zwiespältigen Demokratiebewegung in Hongkong. Für beide Phänomene gilt, was Edward Barnays (1891 bis 1995), ein Neffe Sigmund Freuds, herausfand: Über Demonstrationen wollten die Teilnehmer Nähe zur Macht erlangen, eine Art Vertrautheit mit den Mächtigen, sowohl bei Protest als auch bei Zustimmung. Die Frage, die sich Politiker daher stellen müssten, lautet: Wie kann man am besten Bilder, Töne und Sprache im Verbund miteinander einsetzen, um im Volk die richtige Stimmung zu erzeugen?

Übereinstimmung zwischen Privat und Plakat

Kurz und Werner Kogler waren in diesem Sinn am effizientesten, Strache am schlechtesten, weil noch hinzutritt, dass immer mehr Menschen die Übereinstimmung zwischen den politischen Akteuren und ihrem öffentlichen Auftreten wünschen. Oder anders herum - zwischen Privat und Plakat. Der Wahlerfolg der ÖVP wäre auch mit 3 oder 4 Prozent weniger eine Bestätigung der Vormachtstellung von Kurz gewesen. Der zweite Einbruch der FPÖ nach dem Ibiza-Video hat aber darüber entschieden, ob die Freiheitlichen einen Koalitionsanspruch hätten stellen können.

Dieser Wählerstoß binnen weniger Tage von 20 Prozent in den Umfragen zurück auf 16 Prozent im tatsächlichen Wahlausgang hat mit der politischen Konkurrenz der vergangenen Tage und den immer gleichen Fernsehdebatten fast nichts zu tun. Er ist auf freiheitlicher Seite selbstgemacht. Ob Neid, Gier oder aufgeregte Debatten rund um Gucci und Chanel: Sie verdecken, dass Expertengeschwafel, Meinungsumfragen und leider auch Manipulationen an Gewicht verlieren und die Betroffenen sich stärker von ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen lenken lassen.