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Die Pensionsmalaise

Von Bernd Marin

Gastkommentare
Bernd Marin ist Europe’s Futures Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen und Direktor des Europäischen Bureau für Politikberatung und Sozialforschung (www.europeanbureau.net).
© CC BY 3.0/Werner Bregar

Vor uns liegen 15 Jahre steigender Turbulenzen. Eine Nutzung des Zeitfensters für notwendige Reformen des Pensionssystems ist nicht absehbar.


Stellen Sie sich vor, noch kein Brand weit und breit, aber Feuerwehrsirenen heulen, und kaum einer weiß, was zu tun ist. So stellt sich die Pensionsmalaise dar. Bis 2034 gehen die Babyboomer in den Ruhestand. Das sind die 14 Jahrgänge 1956 bis 1969. Am Höhepunkt 1963 wurden 135.000 Kinder geboren. Diese breiten Kohorten müssen von ihren dünnen Kinder- und Enkelgenerationen durchgefüttert werden. Tiefpunkt des Babyslump waren die Jahrgänge 1999 bis 2013 mit nur noch 75.000 bis 79.000 Geburten, die als Erwerbstätige ihre um 70 bis 80 Prozent stärkere Eltern- und Großelterngeneration alimentieren werden müssen. Vor uns liegen daher 15 Jahre steigender Turbulenzen. 1,9 Millionen Aktive gehen ab in den Ruhestand, dann wird es drei statt zwei Millionen Pensionisten geben. Eine Million über Achtzigjährige wird das Pflegesystem strapazieren. Das Jahrhundertereignis wird bis 2070 nachbeben.

Die Politik ist dafür nicht fit. Wir werden die Folgen spüren, jeder anders, aber alle schmerzlich. Für schmerzfreie, sanfte Anpassungen, etwa eine sofortige Erhöhung des Referenzalters um bloß ein, zwei Monate als Ausgleich für Lebenszeitgewinne von 71 bis 101 Tagen jährlich, wird es 2034 viel zu spät sein. Es könnte uns aber brutale Einschnitte oder schwere Krisen ersparen.

Statt "Zeit für Neues" hat uns Türkis-Blau dumme, uralte Wohltaten- und Wohlfühlpolitik beschert. Versprechen gebrochen. Kehrtwende rückwärts begonnen. Nach dem Wahlkampf 2019 wäre alles andere als weitere fünf Jahre gelähmter Koalition ein Wunder. So wäre das erste, entscheidende Drittel des historischen Zeitfensters für nötige Pensionsreformen schon verloren.

Nachhaltigkeit ist überlebenswichtig, bei Klima, Budget, Forschung und Entwicklung, Innovationen, Investitionen sowie alternsbezogenen Ausgaben: Pensionen, Gesundheit, Pflege. Letztere sind der Großteil aller Sozialausgaben und bestimmen über "crowding-out" daher auch das Schicksal aller anderen Staatsaufgaben.

Ein winziger Hoffnungsschimmer, der weibliche Massenaltersarmut ein bisschen abschwächen, wenngleich nicht verhindern wird: Die ÖVP hat endlich das von Fachleuten und Neos geforderte Pensionssplitting übernommen. Hier wird nur die Default-Option umgedreht, mit regulärem statt extra zu begehrendem Splitting; bei Opting-out für Paare hartgesottener Machos und ahnungsloser Bräute. Da es alle Familieneinkommen zu Lasten der Pensionsversicherung erhöht, geht es um sinnvolle Mehrausgaben. Es ist ein Gegenmodell zur demoralisierenden Wiederbelebung der Arbeitskraftstilllegungsprämie namens Hacklerregelung.

Verbindliches Splitting sollte sowohl mit Grün als auch mit Grün-Pink leicht durchsetzbar sein. Die FPÖ wäre wohl für fast alles zu kriegen. Die SPÖ ist, nachdem sie es schon vor Jahrzehnten kurzzeitig besser wusste, jetzt wieder dagegen. Auf welche parteiinternen Schwachköpfe musste eine so intelligente und integre Frau wie Rendi-Wagner hören, damit Retro-Rote um Faymann, Bures, Heinisch-Hosek und Deutsch unbehelligt von Wählerinnenzuspruch unter sich bleiben können?