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Warum Atomkraft dem Klima nicht hilft

Von Georg Günsberg

Gastkommentare
Georg Günsberg ist Politikwissenschafter und klimapolitischer Berater in Wien sowie Autor fachlicher Publikationen wie etwa der seit 2014 erscheinenden Reihe "Faktencheck Energiewende".
© Robert Six

Ein Ausbau der Kernenergie bremst echte Lösungen auf Basis erneuerbarer Energie.


Christian Ortner hat jüngst in seinem Kommentar in der "Wiener Zeitung" eine Neubewertung der Kernenergie vor dem Hintergrund der klimapolitischen Herausforderungen vorgeschlagen. Er will faktenbasierte Entscheidungsgrundlagen. Anlässlich einer kürzlich stattgefundenen Konferenz zum Thema sei ein kurzer Faktencheck gestattet.

Zu teuer

Die Atomenergie hat in den vergangenen Jahrzehnten einen bemerkenswerten Niedergang erfahren. Wurden in den 1970er Jahren noch gigantische Wachstumsprognosen projiziert, die teilweise das Fünffache der später tatsächlich errichteten Leistung versprach, ist die Kernenergie global stagnierend und in vielen Regionen im Rückgang. Rund 10 Prozent der Elektrizität und knapp 3 Prozent des Gesamtenergiebedarfs werden durch Atomenergie bereitgestellt. Den höchsten Anteil an der globalen Stromproduktion erreichte sie 1996 mit einem Maximum von 17,5 Prozent, wie auch der neue "World Nuclear Industry Status Report" zeigt. Jahr für Jahr muss die atomfreundlich eingestellte Internationale Energieagentur ihre Prognosen für die Nuklearindustrie hinunterschrauben.

Keine andere Stromerzeugungsform hat derart hohe und gestiegene Investitionskosten bzw. enorme Kapitalkosten. Kaum ein Atomkraftwerk wird in der angekündigten Zeit fertig errichtet, was wiederum die Kosten erhöht. Es gibt Ärger, wohin man blickt. Auch Finnland ist da keine Ausnahme. Während die Kosten für Atomkraft gestiegen sind, sind jene für erneuerbare Stromerzeugungstechnologien, insbesondere für Photovoltaik und Windkraft, deutlich gesunken. Die Technologieentwicklung macht es möglich: Seit 2014 sind neue Wind- und Solaranlagen pro Kilowattstunde deutlich günstiger als AKW. Dass auch diese Technologien in vielen europäischen Staaten einen regulativen Rahmen benötigen, ist dem Umstand geschuldet, dass viele alte und konkurrierende Stromerzeugungstechnologien wie Fossil- und Atomkraftwerke privilegiert sind und vor der Marktliberalisierung errichtet wurden.

Zu langsam

Im Kampf gegen die Klimakrise ist der Faktor Zeit entscheidend. Man muss rund zehn Jahre in China und mindestens zwanzig Jahre in Europa kalkulieren, um ein AKW fertigzustellen. Zeit, die verloren geht, während man viel rascher und günstiger Erneuerbare errichten kann. Es geht auch um Opportunitätskosten und den effektiven Einsatz finanzieller Mittel. Der Vergleich verschiedener Optionen zeigt, dass die Atomkraft nicht nur die teuerste Variante ist, sondern vor allem die langsamste. Auf die Nuklearkarte zu setzen, bedeutet Zeit zu verlieren, in der sich das Carbon-Budget weiter dramatisch verringert, denn in dieser Zeit würden weiter Kohlekraftwerke entsprechend CO2 ausstoßen. Nur ein Vergleich: Das weltweite Stromnetz wurde im vergangenen Jahr um eine Leistung von 165 Gigawatt erneuerbare Energie erweitert. Die Nuklearindustrie wurde um 9 Gigawatt ausgebaut.

Zu unsicher

Immer wieder wird darauf verweisen, dass AKW kaum CO2-Emissionen aufweise. Diese Kalkulation ist jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, da sowohl am Beginn der Wertschöpfungskette (Uranabbau), als auch bei der Errichtung und des Betriebs sowie bei der Dekommissionierung von AKW CO2-Emissionen entstehen und große Bandbreiten bei der Berechnung bestehen. Auch das Risiko von AKW-Unfällen wird durch neue Reaktoren nicht gemildert. Ganz im Gegenteil: Die Klimaveränderung geht mit weiteren Risikofaktoren einher. Extremwetterereignisse und Dürren sind für die häufig küstennah gelegenen AKW eine zunehmende Gefahrenquelle. Insofern ist auch die in Diskussion befindliche Laufzeitverlängerung von AKW kritisch zu sehen, denn alte Reaktoren, die nicht auf eine längere Laufzeit ausgerichtet waren, sind weitere Unsicherheitsfaktoren und teuer.

Private Investoren haben sich nicht nur aus Reputationsgründen von der Atomenergie abgewandt. Atomkraft ist kein Beitrag zum Klimaschutz, sondern bremst viel eher echte Lösungen im Umbau eines Energiesystems auf Basis erneuerbarer Energie und variabler beziehungsweise flexibler Versorgungssysteme. Auch der Ruf nach den für die Atomkraft notwendigen staatlichen Hilfen und Regulativen hält nur falsche Versprechungen am Leben.