Zum Hauptinhalt springen

Man hätte den Senat abschaffen sollen

Von Andreas Raffeiner

Gastkommentare

Die Verkleinerung des italienischen Parlaments um ein Drittel macht das Regieren auf Dauer keinesfalls leichter.


Beim Prager Fenstersturz 1419 wurden der Bürgermeister und neun weitere Personen aus dem Neustädter Rathaus am Karlsplatz in Prag hinausgeworfen. Genau 600 Jahre später kam es im italienischen Parlament zu einer Art Römischem Fenstersturz (wenn auch bloß fiktiv): 345 der 945 Mitglieder von Abgeordnetenkammer und Senat müssen frühestens bei der nächsten Wahl weichen, es ist nur noch Platz für 600. Die Selbstamputation ging, und das kam für Insider doch etwas überraschend, nahezu einstimmig über die Bühne. Obwohl das Zähneknirschen in der politischen Kaste spürbar war, hat man sich den Denkzettel selbst verpasst.

Diesen Entscheid kann sich die Fünf-Sterne-Protestbewegung auf ihre Fahne heften. Das ist jene Partei, die hastig den Regierungspartner Lego eiskalt abservierte und sich um die Gunst der Sozialdemokraten bewarb. Seit langer Zeit wurde in Italien über eine Reduktion des Parlaments gestritten und diskutiert, doch erreicht wurde nie etwas. Fünf-Sterne-Chef Luigi Maio, früher Arbeits- und heute Außenminister, genießt den Platz an der Sonne. Doch der Schein trügt: Er ist und bleibt kein politisches Schwergewicht. Er kann keinesfalls den Kurs der Regierung, die aus seiner Bewegung und dem Partito Democratico besteht, alleine bestimmen.

Die Verkleinerung des Parlaments - die Zahl der Abgeordneten sinkt von 630 auf 400 und jene der Senatoren von 315 auf 200 (plus 6 auf Lebenszeit) - ist noch lange kein Indiz für Boom und Schöpferkraft des Mitte-links-Kabinetts Conte II. Dieses Regime hadert an Ungleichheiten und inneren Widersprüchlichkeiten und kann auf diese Weise mit einem fragilen Anstrich beschrieben werden. Die Basis ist kaum oder nur ansatzweise vorhanden, und hinter den Kulissen brodelt es gewaltig. Mancher Bürger hat die Nase voll, manch anderer hofft auf Reformen und Beständigkeit, und wieder andere spekulieren eben bei dieser Wahl auf ein Erstarken der Rechten. Will man Neuwahlen abwehren und für eine politische Stabilität sorgen, muss man Kompromisse eingehen und des Öfteren über den parteipolitischen Horizont hinaus blicken und über den eigenen Schatten springen.

Salvini will zurück zur Macht

Lega-Chef Matteo Salvini ist etwas ruhiger geworden. Doch er will wieder an die Macht kommen. Er lässt nicht nach und versucht nach bestem Wissen und Gewissen, die Regierung schlechtzumachen. Mehr noch: Er läuft gegen sie Sturm, setzt sie unter Druck und hofft doch auf eine Kooperation. Die Reduzierung der Parlamentssitze hat Italien weder Vor- noch Nachteile gebracht, das Zweikammersystem bleibt erhalten. Dass Italiens Politik deshalb von ihrer Lethargie befreit wird, ist keinesfalls abzusehen. Es wäre wohl besser gewesen, man hätte die Abgeordnetenkammer in ihrer Größe belassen und den Senat ins politische Geschichtsbuch verbannt. Doch dazu fehlten der gegenwärtigen politischen Kaste die Courage und die Standhaftigkeit.

Die italienische Politik wird weiterhin wie der Hamster am Rad drehen. Reformen können zerpflückt und verhindert werden. Eines Tages wird das Fass explodieren. Der Volkszorn wird wieder kochen, denn das Unbehagen der Bewohner in Bezug auf ihre Politiker und ihrer Demokratie nimmt zu.