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Der Handelskrieg als Konjunkturmotor

Von Amélie Thévenet

Gastkommentare
Amélie Thévenet ist Fondsmanagerin im Emerging-Markets-Team bei Jupiter Asset Management.
© Jupiter AM

Chinas Wirtschaft steht nicht zuletzt aufgrund des andauernden Handelsstreits mit den USA zunehmend unter Druck und gerät an die Grenzen ihres Wachstums. Eine der wichtigsten Stützen der chinesischen Wirtschaftsdynamik sind die Konsumausgaben der Verbraucher. Entsprechend notwendig erscheint ein beschleunigter Reformkurs der Regierung hin zu einem binnenmarkt- und konsumorientierten Wirtschaftsmodell. Der Nutzen für heimische, bereits schnell wachsende Unternehmen sollte erheblich sein.

"Der chinesische Verbraucher ist das Wichtigste in der Weltwirtschaft", sagte zu Jahresbeginn Jim O’Neill, ehemaliger Chefvolkswirt bei Goldman Sachs und Präger des Begriffs "BRIC" (für die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China). Diese Aussage verdeutlicht, welche zentrale Rolle die chinesische Kaufkraft auf globaler Ebene spielt.

Die am schnellsten wachsende Region beim Vertrieb

Für viele internationale Unternehmen stammt der Großteil des Umsatzwachstums aus ihren chinesischen beziehungsweise asiatischen Geschäftsbereichen. Der Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont erwirtschaftet bereits 22 Prozent des weltweiten Umsatzes allein in China und Hongkong. Der Rest Asiens macht weitere 16 Prozent aus. Asien ist auch die am schnellsten wachsende Region, was den Vertrieb anbelangt. Ebenso zählt die Region Großchina mit Abstand zum am rasantesten wachsenden Markt des Sportartikelherstellers Nike und weist dabei ein dreimal so hohes Wachstum auf wie der Kernmarkt Nordamerika. Insgesamt macht die Region 16 Prozent des weltweiten Umsatzes von Nike aus. Das Wachstumsniveau dieser internationalen Unternehmen wird jedoch durch die starke Abhängigkeit von ihren etablierten Traditionsmärkten im Westen gebremst.

Vor Ort beheimatete, chinesische Unternehmen haben hingegen den entscheidenden Vorteil, dass sie lokale Kundenbedürfnisse einfacher bedienen können. Trotz des Handelskonflikts mit den USA sollte ein so starker Binnenmarkt zudem das mittelfristige Wachstum dieser Unternehmen nicht beeinträchtigen. Im Bereich Sportbekleidung haben etwa Anta und Li Ning, die beiden größten heimischen Marken, ihren konsolidierten Umsatz im ersten Halbjahr 2019 um 35 Prozent beziehungsweise 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Der Handelskrieg, der bei vielen Unternehmen für Gegenwind sorgt, kann diesen Unternehmen tatsächlich zugutekommen, da chinesische Verbraucher aus patriotischen Gründen zunehmend heimische Waren bevorzugen und darin auch von der chinesischen Regierung bestärkt werden.

Abgeschwächtes Wachstum bei privaten Konsumausgaben

Das ist jedoch nur ein Teil der Geschichte. Während sich das chinesische Wirtschaftswachstum weiter abschwächt, verlangsamt sich gleichzeitig das Wachstums der Haushaltsausgaben - wenn auch weniger stark als in anderen Wirtschaftszweigen wie der Industrie und bei den Exporten, die stärker vom Handelskrieg betroffen sind. Die Pro-Kopf-Ausgaben des chinesischen Haushalts haben sich in den vergangenen zehn Jahren zwar mehr als verdoppelt, aber das Wachstumstempo hat sich verlangsamt.

Chinas Regierung scheint zu erkennen, dass ein Wandel hin zu einem binnenmarkt- und konsumorientierten Wirtschaftsmodell nötig ist. In dieser Hinsicht wurden schon Fortschritte erzielt, und der Handelskrieg könnte den Plan sogar beschleunigen. Denn es ist leichter, den Binnenkonsum zu fördern, als andere Maßnahmen zu ergreifen, die stärker von den internationalen Märkten und dem grenzüberschreitenden Handel abhängig sind.

Der Spielraum, Ausgaben und Konsum zu erhöhen, ist beträchtlich. Ähnlich wie in vielen anderen asiatischen und nahöstlichen Ländern ist die chinesische Sparquote mit 45,7 Prozent relativ hoch. Der Trend ist jedoch rückläufig, denn Chinas Sparquote lag 2010 noch bei 51,5 Prozent. Ein beschleunigter Rückgang könnte angesichts der Größe des chinesischen Binnenmarktes drastische Folgen haben. Es mag zwar unrealistisch erscheinen, westliche Sparquotenniveaus erreichen zu können, doch wenn China es schafft, sich zukünftig dem 27-Prozent-Niveau des Nachbarn Japan anzunähern, dürften die Auswirkungen erheblich sein.

Höhere Konsumausgaben der chinesischen Verbraucher würden sich auf viele Marktbereiche auswirken und es aktiven Investoren ermöglichen, die attraktivsten Investmentbereiche ausfindig zu machen, in denen das positive Wandlungspotenzial bisher noch unterschätzt wurde. Derzeit gibt es einige starke Trends im Konsumbereich, allen voran in Sport und Bildung. Chinesische Verbraucher werden zunehmend gesundheitsbewusster, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie mehr Geld für Sportartikel und Nahrungsergänzungsmittel ausgeben.

Sport, Bildung und Reisen:Sektoren mit Potenzial

Darüber hinaus ändern sich die Ansprüche der chinesischen Verbraucher. Die jüngere Generation legt mehr Wert auf individuelle Reise- und Unterhaltungsangebote statt auf ausländische Luxusgüter. Während sich einige Trends erst entwickeln, bleiben andere weiterhin stark, wie Ausgaben für Bildungsangebote für Kinder. Denn Bildung ist ein Bereich, für den Eltern viel Geld ausgeben und der vom wirtschaftlichen Abschwung kaum betroffen ist - insbesondere im Nachhilfeunterricht zeigt sich ein stabiler Trend.

Chinas Konsumgüterunternehmen sind gut positioniert, um den bestehenden Bedarf zu decken. Jedoch ist es wichtig, Unternehmen selektiv auszuwählen. Bei Lebensmitteln, Getränken und Kosmetik neigen chinesische Verbraucher beispielsweise dazu, ausländische Marken zu bevorzugen, da das Markenvertrauen hier nach wie vor höher ist. Die Nachfrage nach ausländischen Waren bleibt trotz der Auswirkungen des Handelskrieges mit den USA beständig. Aufgrund von Sicherheits- und Hygienerisiken in der Vergangenheit vertrauen chinesische Verbraucher etwa beim Kauf von Babynahrung immer noch mehr den ausländischen Marken. Je länger der Handelskonflikt andauert und je weiter er eskaliert, desto wahrscheinlicher wird es jedoch, dass Verbraucher auf chinesische Marken umsteigen. Chinas Konsumenten üben weiterhin Macht über die globalen Konsumtrends aus.