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Der Brexit als Schutzimpfung gegen Europaskepsis?

Von Paul Schmidt

Gastkommentare
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.
© privat

Die aktuell positive EU-Stimmung ist eine gute Gelegenheit, die Union nachhaltig neu aufzustellen.


In Österreich war die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft schon lange nicht mehr auf so hohem Niveau. Aktuell sind drei Viertel der Befragten dafür, dass Österreich Teil der Union bleibt, lediglich jeder Zehnte tritt für einen EU-Austritt ein. Vor nicht allzu langer Zeit sah das noch anders aus. Anfang 2016 spielten noch drei von zehn Befragten mit der Idee, der Union den Rücken zu kehren. Aber woher kommt diese aktuelle "Popularität" der EU und wie tragfähig ist sie?

Der Stimmungsumschwung in Sachen EU-Befürwortung ist eng mit dem 23. Juni 2016, dem Tag der Brexit-Abstimmung in Großbritannien, verbunden. Die EU war schon vor dieser britischen Tragödie durch diverse Krisen gegangen: Die prolongierten EU-Hilfen zur Bewältigung der griechischen Staatsschuldenmisere, die in der Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus zur Unterstützung von mit Finanzproblemen kämpfenden Mitgliedstaaten mündete, hatten das Vertrauen ebenso erschüttert wie die im Herbst 2015 einsetzende Flucht- und Migrationsbewegung bis nach Mitteleuropa.

Das ewige Gezerre um imaginäre und tatsächliche Souveränitätsfragen machte die Stimmungslage nicht besser. Nicht umsonst sprach Jean-Claude Juncker in seiner Antrittsrede im November 2014 von einer "EU-Kommission der letzten Chance". Das Nein der Briten zur Union sollte, so die Hoffnung der Brexit-Befürworter, einen Dominoeffekt zur schrittweisen Desintegration der EU auslösen. Doch dieser trat nicht ein - im Gegenteil: Verstärkt durch Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten im November 2016, erfuhr die Zustimmung zur EU in praktisch allen anderen 27 Mitgliedstaaten ein Comeback.

Alleine der verbesserten Performance der EU diese Entwicklung zuzuschreiben, wäre allerdings ziemlich vermessen. Denn die Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nehmen nicht ab, und die Integrationsrichtung ist weiterhin umstritten. Doch jene Kräfte, die die EU rückabwickeln wollen, die repräsentative Demokratie in Frage stellen und einen Gegensatz zwischen den Interessen von "Volk und Eliten" betonen, haben weder tragbare Alternativen noch funktionierende Lösungen anzubieten. Das abschreckende Beispiel des Brexit hat, ebenso wie die aggressive Rhetorik aus Washington, vielmehr dazu beigetragen, dass die Zugehörigkeit zur EU - bei aller Kritik an ihrer Funktionsweise - wieder stärker geschätzt wird.

Darüber hinaus sind europäische Entwicklungen in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Krisen bringen Aufmerksamkeit. Aber auch der heimische EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018, sowie die darauffolgende EU-Wahlauseinandersetzung, die zu einer Richtungsentscheidung hochstilisiert wurde, haben ihren Anteil am gesteigerten Interesse.

Der Brexit und seine Unwägbarkeiten haben die EU-Skepsis eingedämmt - auf die Dauer wird die abschreckende Wirkung jedoch abnehmen. EU-Institutionen wie Mitgliedstaaten sollten daher die Symptome für EU-Verdruss - mangelndes Vertrauen, demokratische Defizite, fehlende Einigkeit - nachhaltig bekämpfen. Mit dem Amtsantritt der neuen EU-Kommission bietet sich schon jetzt eine gute Gelegenheit dafür.