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Die Partei als Qualifikation

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Postenschacher wurde durch die Realpolitik der Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft mit parteinahen Personen zum nahezu gottgegebenen System und hatte dadurch nichts Anrüchiges.


Wenn ein ausgewiesener Personalberater den Kandidaten für ungeeignet und ein Investmentprofi ihn als "durchwegs inkompetent" einstuft, dann müssten Finanzminister und Casinos-Aufsichtsrat "Nein" sagen. Denn als einzige Qualifikation bleibt die Partei übrig, im Fall Peter Sidlos war das die FPÖ. Das "moderne Österreich" von Türkis-Blau hat sich somit zurückverwandelt in die alte Bananenrepublik, als Reden und Tun zwei ganz verschiedene Praktiken waren - und nach Phasen der Veränderung wieder sind.

"Österreich heute: Der langjährige sozialistische Generaldirektor des Verbund-Konzerns geht in Pension und wird Aufsichtsratspräsident der staatlichen Creditanstalt-Bankverein. Der bisherige sozialistische Aufsichtsratspräsident der CA-BV wird dafür Vizepräsident der Nationalbank mit fetten Millioneneinkünften und einer Aufgabe, deren kargen Tätigkeitsumfang schon sein Vorgänger durch ausgedehnte Bergwanderungen und Skitouren auszugleichen trachtete . . . Aufschlussreich ist, dass diese Umzüge der Proporzritter im Stillen stattfinden . . . Und doch hat man das Empfinden, eine Ära gehe zu Ende . . . Noch einmal wollen die Systemerhalter ihre Macht auskosten und den Bürgern klarmachen, dass ohne Beziehungen und ohne Parteibuch in diesem Österreich niemand eine Chance hat." Der dies schrieb, war Jörg Haider. Das Buch, in dem diese Zeilen stehen, erschien 1993 im deutschen Ullstein Verlag unter dem Titel "Die Freiheit, die ich meine".

Haider stach in ein Wespennest. Durch das Rundfunk-Volksbegehren war 1964 ein erster Aufbruch gelungen. Die nach dem Vorbild der verstaatlichten Industrie fast ausschließlich von ÖVP und SPÖ besetzten Senderposten gehörten der Vergangenheit an, Gerd Bacher und Chefredakteure wie Hugo Portisch ("Kurier") und Fritz Csocklich ("Kleine Zeitung") sorgten für weitgehend unabhängige (in den Nachrichtenkanälen freilich bürgerliche) Sichtweisen. Dieser Gewaltakt, den Kanzler Bruno Kreisky Anfang der 1970er Jahre wieder abschwächte, blieb jedoch auf der Tagesordnung und lockerte den Zugriff der Großparteien auf Staatsbetriebe und Wohnungswirtschaft. Die gleichzeitig ausgelöste Bildungsoffensive mit den Gratisschulbüchern oder der Abschaffung der AHS-Aufnahmetests und die Stützung unverheirateter Frauen und Mütter führten sukzessive zur Multiplikation einer gebildeten Mittelschicht, die den Druck auf die verfilzten Parteistrukturen massiv erhöhte. Die zarten Auswirkungen der 1968er-Rebellion führten zu den ersten Bürgerinitiativen und das "Recht auf den eigenen Bauch" dazu, dass immer mehr Frauen nicht mehr so wählten wie ihre Partner.

Zwentendorf und Hainburg schwächten das System

Da die noch immer (trotz Kreiskys "Absoluter") mit verfassungsgebender Zweidrittelmehrheit regierenden Großparteien sich nicht wirklich zur Basis hin öffneten, fingen die politisierten Jungen an, sich andere Betätigungsfelder zu suchen. Die einen engagierten sich bei den aufkommenden Grünen, die anderen beim damaligen Sozialreformer Haider, der sich dann 1986 bei der FPÖ an die Macht putschte. Das System selbst wurde einerseits durch die Zwentendorf-Abstimmung im November 1978 (Kreiskys erste Niederlage) und andererseits durch die Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984 geschwächt. Die Grünen zogen erstmals 1986 in den Nationalrat ein. Die flächendeckende Beherrschung der Politik durch Exponenten der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP blieb. Einige Beispiele:

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts waren 50 Prozent der Nationalratsabgeordneten gleichzeitig Vertreter einer ökonomischen Interessengruppe und einer Partei. Die Postenvergabe im öffentlichen Raum entsprach diesen Machtverhältnissen.

Diese Verquickungen reichten bis in die Regierung. Sozialminister war bis 1966 und ab 1970 immer ein Vertreter der SPÖ-Fraktion im ÖGB. Finanz- und Handelsminister kamen fast lückenlos aus der Handels- beziehungsweise der Wirtschaftskammer. Zwischen Landwirtschaftsministerium, Bauernkammer und ÖVP-Bauernbund bestand personelle Identität.

Diese enge Verflechtung zwischen Parteien, Verbänden, Staat, Wirtschaft und Gewerkschaft schuf für die Parteispitzen die Möglichkeit, Posten in allen staatsnahen Bereichen nach Gutdünken zu vergeben.

Postenschacher wurde durch diese Art der Realpolitik zu einem nahezu gottgegebenen System und hatte dadurch nichts Anrüchiges. Beziehungen wurden und waren eine Voraussetzung für leistbares Wohnen und ein erfolgreiches Berufsleben. In einer Erhebung von Roland Deiser und Norbert Winkler über Politische Partizipation in Österreich 1980 (zitiert aus Dusek/Pelinka/Weinzierl: "Zeitgeschichte im Aufriß", 1981) kam beim Thema "Motive für den Parteibeitritt" für mehr als 70 Prozent die Wohnungsbeschaffung ins Spiel, berufliche Vorteile waren sogar gar für 78 Prozent ausschlaggebend, die Familientradition war immerhin noch für 60 Prozent der Bevölkerung Grund für einen Parteibeitritt.

Der Machtwechsel des Jahres 2000 hin zu einer schwarz-blauen Regierung war daher mehr - er brachte Österreich zwar den Ruf und die Rolle des Vorreiters rechtspopulistischer Machtteilhabe in der EU, war aber auch der Startschuss für die Ablöse des Nachkriegssystems. Ausgerechnet die größten Kritiker des Umfärbungssystems, jene aus den Reihen der FPÖ, taten nach 2000 genau das, was sie zuvor attackiert hatten. Im Infrastrukturbereich (ÖBB, Asfinag) wurden mehrheitlich blaue Exponenten in Managementfunktionen gehievt. FPÖ-Chef Norbert Hofer bezeichnete erst jüngst wieder alle Besetzungen bei Bahn, Autobahnverwaltung und Donau Versicherung mit Leuten seiner Partei als "fachlich gerechtfertigt".

Die EU-Mitgliedschaft hatviele Eigenheiten beseitigt

Nach 1945 hatte der Parteienproporz bei der Besetzung öffentlicher Ämter bis hin zur verstaatlichten Industrie seine Bedeutung für eine ausgeglichene Machtverteilung. Nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs 1934 war er ein Stabilitätsfaktor und eine Vorbeugung gegenüber möglichen (blutigen) Konflikten. Die Kritiker sprachen aber bald von "Parteibuchwirtschaft" und forcierten die Erosion dieses Konsenses. Der Grazer Verfassungsrechtler Gustav E. Kafka sprach daher bereits 1958 davon, dass das "Gleichgewichtsprinzip ein charakteristischer Bestandteil der Innenpolitik ist". Die meisten Bestimmungen des Verfassungsrechts könne man "einschließlich der republikanischen Staatsform" ändern, wenn nur das Gleichgewicht erhalten bleibe. Eine "freie politische Konkurrenz", meinte Kafka, käme "einer Revolution gleich, ohne auch nur einen Komma im Verfassungstext zu ändern".

Die EU-Mitgliedschaft und deren Regulative haben österreichische Eigenheiten beseitigt, nicht aber die Mentalität bei der Umsetzung struktureller Erfordernisse. Der Investmentbanker Klaus Umek hat die Herausforderungen der Internationalisierung des Landes in einem Interview mit dem "Standard" zum Fall Sidlo und Casinos so beschrieben: "Die Wirkung im Ausland ist fatal. Es wäre gut, wenn es dafür in Österreich mehr Bewusstsein gäbe und nicht immer nur darüber gesprochen wird, wie die Sachen in Kremsmünster oder in Mistelbach aufgenommen werden."