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Ein herausforderndes Experiment

Von Herbert Vytiska

Gastkommentare
© reuters/Leonhard Foeger

Manche in der ÖVP wissen nicht so recht, wie sie mit der türkis-grünen Option umgehen sollen.


Die Zweite Republik ist von einem interessanten Wählerverhalten gekennzeichnet. Seit den ersten Wahlen im November 1945 gab es einen leichten Überhang bei den Stimmen, die das Spektrum Mitte-rechts abdecken. Mit Ausnahme der Ära Bruno Kreiskys. Ab 1983 herrschten wieder alte Zustände. Sehr oft hörte man dann freilich in Kreisen der ÖVP die Klage, dass dennoch in mehr als 30 Jahren nur von 2000 bis 2006 die ÖVP den Bundeskanzler gestellt habe. Bis 2017 Sebastian Kurz kam.

Die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition fand daher breite Zustimmung. Das galt bereits für 2000 und erst recht für 2017. Alois Mock hatte das auch 1986/87 durchaus im Sinn, geprägt von CDU-Chef Helmut Kohl, der nicht einmal meinte, dass sich die ÖVP doch sehr wohl auch mit dem Gedanken an eine kleine Koalition anfreunden sollte. Dass es 1987 dazu nicht kam, hatte nachträglich allerdings einen durchaus positiven Effekt. Nämlich für den Beitrittsprozess zur Europäischen Union, für den eine breite politische Basis, also die große Koalition, essenziell war.

Notwendiger Spagat

In der alten ÖVP trifft man bei aller Freude, dass nach den heurigen Nationalrastwahlen kein Weg bei einer Regierungsbildung an ihr vorübergeht und es eine breite Mitte-rechts-Mehrheit gibt, auch Meinungen an, die nicht so richtig wissen, wie man mit der türkis-grünen Option umgehen soll. Genau genommen geht es um die Kenntnisnahme von Realitäten. Eine solche ist, dass - sieht man von den Neos ab, die zu klein sind - zwei Koalitionspartner sich selbst aus dem Rennen genommen haben. Das gilt für die FPÖ und für die SPÖ, bei denen derzeit einfach nicht gewiss ist, wie sie sich entwickeln werden. Ungewissheit ist keine Basis für Politik in herausfordernden Zeiten.

Nicht nur das. Um ein Regierungsprogramm zustande zu bringen, wäre es auch da notwendig, einen Spagat zu machen. Die FPÖ ist sicher - wie es Andreas Khol bereits vor 20 Jahren formulierte - eine Partei, die sich innerhalb des Verfassungsbogens bewegt, aber schon in so manchen Punkten sehr populistisch-rechtslastig. Die SPÖ wiederum neigt dazu, um den Verlust der Trademark "Arbeiterpartei" wettzumachen, die linke Klamottenkiste als Ideenwerkstatt zu installieren.

Warum daher es nicht mit den Grünen zu versuchen? Diese waren in der Vergangenheit oft davon geprägt, in erster Linie für die Sozialdemokraten eine Art Steigbügelhalter für deren Machterhalt zu sein. Kein Dauerzustand. Schließlich begannen sich auch die klassischen Volksparteien mit der Frage einer Grün-Liaison auseinanderzusetzen. Wolfgang Schüssel war da durchaus ein Pionier. In Deutschland begann sich die CDU ganz massiv dem Thema zu widmen, was 2011 den Ausdruck in einer umfassenden Dokumentation zu Schwarz-Grün fand. Sollte die jetzige große Koalition in Deutschland aufgrund des Führungswechsels bei der SPD platzen, so ist dort für die CDU eine Koalition mit den Grünen wohl die einzige Option, das Bundeskanzleramt zu halten.

Die Grün-Bewegung, die hierzulande durch die Debatte um das Kernkraftwerk Zwentendorf und den Kampf um den Erhalt der Hainburger Au ihren eigentlichen Aufstieg nahm, hatte nicht nur Wurzeln im linken, sozialistischen Spektrum (daher der Fundi-Anteil). Dies war auch dadurch bedingt, dass man der SPÖ keine Reformkraft mehr zutraute, sie zu sehr in alten Denkmustern verhaftet sah. Aber auch im bürgerlich-konservativen Bereich gab es Sympathien, traditionelle Parteiwege zu verlassen, auf einen "ökologischen Humanismus" zu setzen. Mehr noch, in den Städten und deren Randzonen war und ist für so manche sogenannten bürgerlichen Wähler Grün zu einer Modeerscheinung geworden.

Das Grüne in der ÖVP

Unterschätzt und viel weiter vorausdenkend war, dass die ÖVP unter der Federführung von Josef Riegler schon 1987 das Ordnungsmodell der öko-sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln begann. Inhaltlicher Schwerpunkt war, keinem blinden Fortschrittsglauben anzuhängen, sondern das Augenmerk verstärkt auf den Schutz der natürlichen Um- und Lebenswelt zu legen, Problemlösungen nicht künftigen Generationen zu überlassen, sondern rechtzeitig zu verhindern, dass die Ressourcen des Lebensraumes Welt und Natur "verprasst" werden. Dieses Ordnungsmodell wurde letztlich aber nur schubladisiert. Jetzt zeigt sich, dass es geradezu das Kernstück eines Regierungsprogramms bilden könnte.

Wenngleich der Volkspartei immer vordergründig das Image als "Unternehmerpartei" anhing, weil das so gut in die Klassifizierung zwischen SPÖ und ÖVP hineinpasste, so wird dabei vergessen, dass sie dank des gesellschaftspolitisch besonders engagierten Arbeitnehmerflügels, etwa in der Ära von Alois Mock, ein sozialpolitischer Schrittmacher war. Sie setzte Initiativen, die die Basis für den Ausgleich zwischen den relevanten gesellschaftlichen Gruppen legten, die konkrete Reformen vorschlugen, deren Ziel eine Gesellschaft selbständiger Menschen war. An diese Tradition anzuknüpfen, die christlich-soziale Wurzeln hat, sollte ein Leichtes sein.

Genau genommen sind das alles Ansatzpunkte, die es bei allen Differenzen spannend machen, den Spagat zwischen Türkis und Grün zu suchen. Wobei es sicher auch um eine Herausforderung geht. Und die hat Kurz aufgegriffen. Wir haben in unserer Gesellschaft bei vielen Fragen sehr differente Ansichten. Statt den Konflikt geradezu herauszufordern, wäre es wohl sinnvoll, eine Brücke zwischen den zugegebenermaßen nicht nur scheinbaren Antipoden zu schlagen. Im ÖVP-Programm 1972 gab es dazu eine passende Formulierung: Partnerschaft bietet die Basis, Konflikte nutzbar zu machen und friedlich zu lösen.

Zum Autor~ Herbert Vytiska ist Journalist und Autor. Von 1971 bis 1987 war er Pressesprecher von Alois Mock beziehungsweise der Bundes-ÖVP. Er publiziert seither vor allem zu Zeitgeschichte- und Europa-Themen.