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Armut hat keine Lobby

Von Katharina Braun

Gastkommentare

Soziales Gewissen braucht es nicht nur zur Weihnachtszeit.


In der Weihnachtszeit gibt es nun wieder verstärkt das Essen und Feiern für den guten Zweck. Überall Spendenaufrufe, die an die soziale Verantwortung appellieren. Leicht könnte man in den angenehmen Gedanken verfallen, dass es da einen echten gesellschaftlich breit aufgestellten Konsens gebe, Armut und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Doch Pausengespräche und Aussagen von Vortragenden auf Veranstaltungen - dies sogar rund um das Thema bessere Arbeitsbedingungen, aber auch Armutsbekämpfung - zeigen, dass dem in Wahrheit nicht so ist.

So beantwortete etwa eine Recruiterin eines großen Unternehmens, das in der Öffentlichkeit unter anderem für soziale Verantwortung eintritt, die Pausenfrage, was passieren müsste, damit möglichst viele Menschen gute Arbeitsbedingungen vorfinden, knallhart mit der Gegenfrage: "Warum sollten mich die anderen interessieren? Ich schaue nur, dass es mir gut geht. Ich bin schließlich keine Weltverbesserin."

Ein Mann erzählte, er wohne in der Nähe eines Supermarkts und komme immer wieder mit den Kassiererinnen ins Gespräch. Für eine Mitarbeiterin, die aus dem Burgenland pendle, sei es doch nun wunderbar, drei Tage am Stück zwölf Stunden arbeiten zu können. Denn so könne sich die Frau an den restlichen Tagen das Fahren nach Wien sparen. Was an den überlangen Arbeitstagen allerdings mit ihren Kindern passiert, blieb ungeklärt. Ebenso blieb offen, ob die Frau an den "arbeitsfreien" Tagen nicht doch noch etwas Erholung von der Arbeit bräuchte. Unklar auch, ob der Mann sich für sich selbst so ein Familienmodell vorstellen könnte.

Den Vogel abgeschossen hat eine Sprecherin, die das Publikum wissen ließ, dass es wichtig sei, bereits Kinder mit Geldangelegenheiten vertraut zu machen. Dies am besten, indem man mit ihnen zu einer Hauptversammlung von Walt Disney fahre. Nun, für die meisten anwesenden Frauen war das wohl ein Hohn auf ihre Lebensrealität. Dieses Statement erinnert jedenfalls sehr an eine französische Königin, die gesagt haben soll: "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen."

Diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, bitten oft nicht darum

Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. In Österreich gelten 1,25 Millionen Menschen als armutsgefährdet. Besonders stark betroffen von der Armutsgefährdung sind Alleinerzieherinnen mit kleinen Kindern. Und fast jede fünfte Frau über 65 Jahren ist in Österreich von Altersarmut betroffen. Tatsächlich kennt fast jeder persönlich Menschen, die unter prekären Verhältnisse leben müssen. Sei es die geschiedene Frau, die wegen der Kinder keinem Erwerb nachging und nun nach der Scheidung ohne Eigenpension dasteht. Sei es die Akademikerin, die krankheitsbedingt erwerbsunfähig wurde. Sei es der Selbständige, dessen Umsatz einbrach und dessen Geld nicht für eine Versicherung ausreichte.

In Österreich liegt die Armutsgrenze bei 1.060 Euro netto (14 Mal im Jahr, inklusive aller staatlichen Leistungen). Das Existenzminimum beträgt 909 Euro und liegt mit der Mindestpension gleichauf. Die durchschnittliche Pension beträgt 1.028 Euro (also weniger als die Armutsgrenze), wobei die österreichischen Frauen im Durchschnitt um 34 Prozent weniger Pension als die Männer erhalten.

Armut und Bildungsniveau korrelieren; 33 Prozent der armutsgefährdenden Menschen weisen als höchste Ausbildung einen Pflichtteilschulabschluss auf. Armutsgefährdete Personen und Arbeitnehmer in schlecht bezahlten erschöpfenden (Sozial-)Berufen ("Working Poor") stehen ohne Lobby da. Solche Menschen trifft man bei Veranstaltungen oder gar als Podiumsteilnehmer so gut wie nie an, und wenn, dann verfügen sie über keine Lobby, mit der eine Veränderung herbei geführt werden könnte. Die Armutskonferenz spricht davon, dass in Österreich 17,5 Prozent armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind. 17,5 Prozent - das ist für ein sogenanntes reiches Land wie Österreich verdammt viel. Viel zu viel.

Leider ist es so, dass diejenigen, die wirklich Hilfe benötigen, oft diejenige sind, die um nichts bitten. Das sind oft Menschen, die nicht einmal gut gemeinte Spendenpakete in Empfang nehmen wollen, weil sie sich ihrer Armut schämen. Viele sind auch zu schwach, zu krank, wissen überhaupt nicht über Möglichkeiten Bescheid, um Unterstützung und Förderung zu bekommen. In der öffentlichen Debatte müssen streng Systemausnutzer von denen unterschieden werden, die der Hilfe eines funktionierenden Sozialsystems bedürfen.

Island und Schweden als Vorbilder beim Einkommen

Es bedarf einer Politik mit einem wirklichen Gestaltungswillen. Das Pensionssplitting erfuhr bis dato in Österreich keine ausreichende politische Unterstützung. Beim Pensionssplitting kommt es zu einem Ausgleich der Pensionsgutschriften unter Ehepaaren, Eltern. In Deutschland (in Kraft seit 2009) ist der Versorgungsausgleich verpflichtend. Österreich kennt zwar für Zeiten der Kinderbetreuung die freiwillige Möglichkeit eines Pensionssplittings, jedoch macht hiervon so gut wie niemand Gebrauch.

Seit der Änderung des österreichischen Pensionssystems im Jahr 2004 fließen in die Pensionsberechnung auch "schlechte" Erwerbs- und Nichterwerbszeiten. Dies wirkt sich zu Lasten vieler Pensionen aus, insbesondere viele Frauen sind hiervon nachteilig betroffen. Etliche Initiativen fordern daher die Rückkehr zum vorigen System "Best of 15", es sollten also die 15 einkommensstärksten Jahre zur Pensionsbemessung herangezogen werden.

Nähere Betrachtung verdient auch das Lohngesetz in Island. Dort müssen Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern Lohnunterschiede rechtfertigen. Zudem müssen in Island laut Gesetz 40 Prozent der Mitarbeiter Frauen sein. Die isländische Frauenerwerbstätigenquote liegt bei 89 Prozent. Für Väter gibt es eine dreimonatige Karenz. In Schweden gibt es ebenfalls eine Einkommensberichterstattung für Unternehmen ab 20 Mitarbeitern. In Österreich hingegen sind von der Einkommensberichterstattung erst Unternehmen mit einer Anzahl ab 150 Mitarbeitern erfasst. Allerdings ist der heimische Einkommensbericht an keinen Aktionsplan und an keine Sanktionen gebunden, wenn er Einkommensunterschiede zutage gefördert hat.

Es bedarf mehr finanzieller Mittel für Familienberatungen, kostenlose bundesweite Kinderhortbetreuung und auch einer Aufwertung sozialer Berufe. Menschen (meist Frauen), die sich um unsere Senioren und Kranken kümmern, verdienen unsere volle Anerkennung, auch in finanzieller Hinsicht. Und es braucht eine Bildungsreform, die auch wirklich etwas bringt und nicht nur die x-te Auflage des in Wahrheit Selben ist.

Böses finanzielles Erwachen nach einer Scheidung

Gerade bei Scheidungen erleben Frauen nicht selten ein böses Erwachen. Vor einer Eheschließung sollte eigentlich (gleich dem Eheseminar vor der kirchlichen Zeremonie) verpflichtend eine Beratung über finanzielle und rechtliche Folgen einer Ehe in Anspruch genommen werden. Viele Frauen trauen sich nicht, ihren Partner offen auf Geld anzusprechen. Oft bezahlen Frauen die Hälfte der Lebenserhaltungskosten, obwohl sie wesentlich weniger als der Ehemann verdienen. Viele wissen gar nicht, dass der (deutlich) schlechter verdienende Ehepartner während der Ehe einen Anspruch auf Ehegattenunterhalt hat. Wie man es sich einrichtet, so hat man es. Daher: Finanzen sind in einer Ehe anzusprechen, was ist unser/dein Geld? Wie wollen wir das handhaben? Wird ein gemeinsames Konto eingerichtet, so ist zu klären, wie es bedient wird und was davon bezahlt wird. Der umsichtige Umgang mit finanziellen Belangen zeugt auch von Respekt gegenüber dem Partner.

Viele Frauen erfahren leider erst bei einer Scheidung, dass ihnen kein Ausgleich für die Kinderbetreuung zusteht. Doch dann ist es meist zu spät, um für die Pension vorzusorgen. Zu empfehlen ist daher, zum Beispiel zu vereinbaren, dass für Zeiten der Kinderbetreuung in eine private Altersvorsorge zugunsten des betreuenden Elternteils investiert wird. Viele Frauen gehen davon aus, dass sie bei einer Scheidung automatisch einen Anspruch auf einen nachehelichen Ehegattenunterhalt hätten. Doch dies ist falsch. Einen Anspruch auf Ehegattenunterhalt hat man grundsätzlich nur dann, wenn den anderen Ehepartner das alleinige oder zumindest überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Dieser Nachweis gelingt aber in der Praxis nur selten. Zudem muss der Schuldige dann auch noch zumindest das Doppelte vom Einkommen der Partnerin oder des Partners verdienen. Anderenfalls gibt es höchstens einen (eher bescheiden bemessenen) Notunterhalt, sofern man an der Armutsgrenze herum schrammt und dem anderen die Unterhaltsleistung zumutbar ist.

Ganz bitter trifft es oft auch Lebensgefährtinnen; haben diese doch keinen Anspruch auf Witwenpension. Einem alten Gebot zufolge sollte der Zehnte (10 Prozent) des Vermögens gespendet werden. 10 Prozent von Aktiengewinnen (bei gewissen Unternehmen auch ein höherer Prozentsatz) wären doch ein passendes Weihnachtsgeschenk.