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Die Herausforderungen unseres Gesundheitssystems

Von Alexander Biach

Gastkommentare

Die Ziele von Österreichs sozialem Sicherheitssystem müssen neben gesundheitlichem Nutzen auch finanzielle Absicherung, Bedarfsgerechtigkeit und gesundheitliche Chancengleichheit sein.


Österreich - das Land der sozialen Sicherheit. Durch die soziale Krankenversicherung sind in Österreich 99,9 Prozent der Bevölkerung versichert und geschützt. Das bietet eine hohe finanzielle Absicherung für das Risiko Krankheit und führt zu einer ausgesprochen hohen Zufriedenheit der Bevölkerung mit unserem Gesundheitssystem. In einer Umfrage der Europäischen Kommission bewerteten beispielsweise 96 Prozent der befragten Österreicher die Qualität der Gesundheitsversorgung in ihrem Land als gut. Der EU-28-Schnitt lag hierbei mit 71 Prozent deutlich darunter. Dass die österreichische Bevölkerung im EU-Vergleich überdurchschnittlich mit ihrem Gesundheitssystem zufrieden ist, liegt wohl auch an der umfassenden Deckung des Behandlungsbedarfes. Hier weist Österreich den geringsten ungedeckten Behandlungsbedarf in der Europäischen Union auf.

Verbesserungspotenzial bei gesunden Lebensjahren

Dies sind zwar erfreuliche Zahlen, jedoch zeigt ein genauerer Blick, dass wir in unserem Gesundheitssystem im Bereich des gesundheitlichen Nutzens und der Effizienz Ausbaubedarf haben. Im internationalen Vergleich investiert Österreich viel in sein Gesundheitswesen - sowohl in Prozent des BIP als auch kaufkraftbereinigt pro Kopf. Wir liegen bei den Ausgaben für das Gesundheitswesen im EU-Ranking an vierter Stelle. Gleichzeitig ist in Österreich die Lebenserwartung aber nur gering höher als im EU-Durchschnitt. Dabei sehen wir, dass es besonders bei den gesunden Lebensjahren ein hohes Verbesserungspotenzial gibt. Hier gilt es zukünftig vor allem bei der älteren Bevölkerung anzusetzen.

Alexander Biach studierte auf der WU Wien. Von 2011 bis 2016 war er Vorsitzender der SVA Wien, seit 2017 ist er Vorstandsvorsitzender des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger. Er ist außerdem Wiener Standortanwalt und stellvertretender Direktor der Wiener Wirtschaftskammer.
© Hauptverband/Martin Hörmandinger

Im Gesundheitswesen stehen wir vor immer größeren Herausforderungen wie überlaufenen Spitalsambulanzen, immer mehr Wahlärzten und Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung der Kassenstellen. Trotz hoher Ärztedichte in Österreich ist die flächendeckende Versorgung in ruralen Gebieten ein häufiges Thema. Wir haben hier die Gesundheitsversorgung neu gedacht und konnten mit dem Ausbau der Primärversorgung entgegenwirken. Die Primärversorgung ist ein Kooperationsmodell, bei dem Hausärzte gleichzeitig gestärkt und entlastet werden. In den Primärversorgungseinheiten sind zum ersten Mal in institutionalisierter Form Ärzte sowie weitere Gesundheits- und Sozialberufe entweder unter einem Dach oder in einem Netzwerk vereint. Der Aufgabenbereich reicht von der Akutversorgung bis hin zur Versorgung chronisch Kranker. Mit diesen Primärversorgungseinheiten wird den Versicherten eine umfassende Versorgung vor der Haustür geboten und gleichzeitig die Flexibilität der Ärzte gefördert. Bis 2021 soll es 75 solcher Primärversorgungseinheiten in Österreich geben.

Eine weitere zukünftige Herausforderung unseres Gesundheitssystems wird der Bereich der Pflege. Durch die demografische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte lässt sich in Österreich eine stark anwachsende Zahl an alten und hochaltrigen sowie auch pflegebedürftigen Menschen erwarten. Hier werden also auch höhere Kosten der öffentlichen Hand prognostiziert. Vorschläge wie eine Pflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung bedürfen ebenso Finanzierungskonzepte, die nicht aus einer Umschichtung finanzieller Mittel aus anderen Bereichen des Gesundheitssystems bestehen und die Sozialversicherungen weiter belastet. Die Politik muss hier rasch Lösungen präsentieren und ein belastbares Konzept der Organisation und Finanzierung des Pflegewesens vorlegen.

Von Bewegungsförderung bis Rauchprävention

Zur Verbesserung der "Gesunden Lebensjahre" müssen wir in Gesundheitsprävention investieren. Dies beginnt bei der Förderung der sportlichen Aktivität und geht bis zur Rauchprävention. Wir wissen, dass durch mehr Bewegung das Gesundheitssystem entlastet würde. Laut einer Studie von Sports Econ Austria sind bei einer Steigerung von 10 Prozent an Menschen, die sich regelmäßig bewegen, Einsparungen von bis zu 117 Millionen Euro pro Jahr möglich. Noch deutlicher ist das Einsparungspotenzial beim Rauchen. Laut dem Institut für höhere Studien (IHS) beliefen sich die Kosten durch das Rauchen im Jahr 2016 auf 2,41 Milliarden Euro. Das sind 0,68 Prozent des BIP.

Im Rahmen der Gesundheitsreform werden außerdem gemeinsam mit Bund und Ländern Vorzeigeprojekte wie "Frühe Hilfen" und "Richtig essen von Anfang an!" vorangetrieben, um präventiv dort zu handeln, wo es am ehesten nötig ist. Das Ziel der Gesundheitsreform - eine Entlastung der Krankenversorgung durch gesundheitsförderliche und präventive Maßnahmen - spiegelt sich bereits in den Zahlen wider: Laut einer Studie der Gesundheit Österreich GmbH sind die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsförderung und Prävention zwischen 2012 und 2016 um 428,6 Millionen Euro gestiegen - ein Zuwachs von 21,3 Prozent. Das ist ein wichtiger Schritt. Es braucht jedoch weiterhin gemeinsame Anstrengungen, die noch ungenutzten Potenziale für mehr gesunde Lebensjahre zu heben.

Zusammengefasst haben wir in Österreich ein System der sozialen Sicherheit, das zu einer hohen Zufriedenheit in der Bevölkerung führt und den Behandlungsbedarf in Europa am besten deckt. Ziele des Gesundheitssystems müssen neben dem gesundheitlichen Nutzen, der finanziellen Absicherung und Gerechtigkeit und der Bedarfsgerechtigkeit auch die gesundheitliche Chancengleichheit sein. Unser Gesundheitssystem trägt einen wichtigen Beitrag zur sozialen Balance in unserem Land bei. Auch bei einer Optimierung der Effizienz und bei der Planung der Finanzierung darf das nicht vergessen werden. Wir achten auf unsere Nächsten und bieten mit der solidarischen Krankenversicherung ein Netz der sozialen Sicherheit, von dem wir alle profitieren.

Der vorliegende Text ist auch im MKV-Magazin "Couleur" erschienen.