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Waffenruhe oder Weltuntergang im Handelsstreit?

Von Nitesh Shah

Gastkommentare

Industrieproduktion und nicht Dienstleistungsbranche ist Triebfeder des Abschwungs.


Der Wirtschaftsausblick für 2020 und darüber hinaus hängt davon ab, ob die USA und China ein Handelsabkommen schließen werden oder nicht. Sollte kein Abkommen erzielt werden, ist es wahrscheinlich, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession abrutscht, deren Anfänge sich bereits abzeichnen. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass in den USA im heurigen Jahr Präsidentschaftswahlen stattfinden werden. Obwohl US-Präsident Donald Trump versucht, seine früheren Wahlversprechen wie etwa die Senkung des Handelsdefizits umzusetzen, wird er es vermeiden, in einem so entscheidenden Moment eine wirtschaftliche Rezession herbeizuführen.

Voraussichtlich wird er versuchen, ein Abkommen mit China zu schließen, jedoch nicht zu einem allzu frühen Zeitpunkt. Je näher dieser an die Wahlen rückt, desto eher werden die Wähler Trump als denjenigen in Erinnerung behalten, der die US-Wirtschaft aus der Misere gezogen hat. Diese Strategie beinhaltet aber ein hohes Risiko, denn China verliert langsam die Geduld. So weigert sich das Land beispielsweise anzuerkennen, dass man bei den Verhandlungen die von Trump sogenannte "Phase eins" eines Abkommens erreicht habe. Die negativen Konsequenzen einer solch hochriskanten Vorgehensweise könnten für die Weltwirtschaft katastrophal sein. In einem solchen Fall schließen wir eine weiche Landung aus.

Das Wachstum der globalen Wirtschaft verlangsamte sich im vergangenen Jahr, was auf den abnehmenden Handel zurückzuführen ist. Die Industrieproduktion - der wegen des Rückgangs beim Warenhandel am stärksten betroffene Sektor - ist rückläufig. Die Dienstleistungen in den hoch entwickelten Volkswirtschaften florieren aber weiterhin. Da die meisten hochentwickelten Volkswirtschaften dienstleistungsorientiert sind, hat sich die sinkende Industrieproduktion noch nicht auf die Arbeitsmärkte ausgewirkt. Aufgrund des anhaltenden Handelskonflikts könnte es jedoch zu Zweitrundeneffekten kommen, die zweifellos auch den Dienstleistungsbereich betreffen werden.

Der geldpolitische Spielraum ist eingeschränkt

Die Entscheidungsträger haben bereits Maßnahmen ergriffen, um eine wirtschaftliche Rezession abzuwenden. In den Industrieländern wurde der Großteil dieser Maßnahmen bisher durch Währungsinstitutionen übernommen. Die Federal Reserve (Fed) in den USA begann die Zinsen zu senken, und falls sich die Handelsstreitigkeiten fortsetzen, könnte dies auch so weitergehen. In Japan und großen Teilen Europas befinden sich die Zinsen bereits im negativen Bereich, weshalb man sich dort auf die quantitative Lockerung, das "Quantitative Easing", und - was wahrscheinlicher ist - auf andere kreative Instrumente verlassen muss, um geldpolitische Impulse zu geben. Die quantitative Lockerung hat das negative Image, für eine Vermögenspreisinflation, nicht aber für Preissteigerungen bei Gütern beziehungsweise Dienstleistungen zu sorgen und dementsprechend die Investoren und nicht die Privathaushalte zu begünstigen. Die Chinesische Zentralbank hat ihre Geldpolitik gleichfalls hinsichtlich Zinsen und Mindestreserveanforderungen gelockert.

Könnte die Finanzpolitik zur neuen Geldpolitik werden?

Christine Lagarde, die politisch versierte frühere Leiterin des Internationalen Währungsfonds und frühere französische Finanzministerin, trat vor kurzem ihr Amt als Präsidentin der Europäischen Zentralbank an. Gleichzeitig wurde Ursula von der Leyen, dienstältestes Mitglied im Kabinett der deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Präsidentin der EU-Kommission. Diese neue personelle Kombination wird in den europäischen Institutionen für frischen Wind und kreative Ansätze sorgen.

Da die Europäische Zentralbank (EZB) bereits erklärt hat, dass ihr geldpolitischer Handlungsspielraum eingeschränkt ist und sie sich bei finanzpolitischen Institutionen auf die Erfüllung ihrer Aufgaben verlassen muss, ist es durchaus möglich, dass wir uns auf eine Form der "Modern Monetary Theory" zubewegen. Da sie aufgrund eines hohen Exportanteils unter akutem Handlungsdruck steht, könnte sogar die finanzpolitisch konservative Hochburg Deutschland eine andere Tonart anschlagen. Einige Investoren befürchten, dass dies in den kommenden Jahren zu einer hohen Inflation führen könnte, und flüchten sich in altbewährte, sichere Anlagen wie Gold. Auch das Misstrauen der Zentralbanken in Schwellenländern gegenüber dem US-Dollar begünstigt die Goldnachfrage.

China fungiert nicht mehrals Stoßdämpfer

Immer mehr globale Anleihen werfen negative Renditen ab. Ja, die Investoren bezahlen die Emittenten sogar dafür, dass sie bei ihnen Geld aufnehmen. Noch 2014 war ein solches Phänomen vollkommen unbekannt, doch bereits im vergangenen Jahr 2019 belaufen sich solche Schuldverschreibungen auf fast 14 Billionen US-Dollar. Die Nachfrage nach sicheren Anlagen ist so hoch, dass die Investoren negative Endfälligkeitsrenditen in Kauf nehmen. In einem solchen Umfeld werden auch andere sichere Anlagen wie das früher für seinen Mangel an Rendite kritisierte Gold zunehmend interessant.

Sollten wir uns tatsächlich auf eine weitere Rezession zubewegen, werden dann alle geld- und finanzpolitischen Institutionen in die Vollen gehen? So lockerte China nach der Finanzkrise von 2008 die Geldpolitik und steckte viel Geld in Infrastrukturprojekte. Dies wird am prozentualen Anteil der Bruttoanlageninvestitionen Chinas am BIP deutlich, der 2009 deutlich zunahm, während er in anderen Industrienationen rückläufig war. Das Land erweiterte sein Urbanisierungsprogramm und baute viele neue Straßen und Städte. Davon profitierten sowohl die globalen Rohstoffmärkte als auch die Weltwirtschaft.

Es ist zu bezweifeln, dass sich dies wiederholt, denn China ist diesmal zu hoch verschuldet. Die Reaktion Chinas auf die Konjunkturabschwächung ist bisher aufgrund des widersprüchlichen Wunsches, die Finanzierung zurückzuschrauben, verhalten (vor allem wegen der Schattenbanken, die bei der Verbreitung von Krediten in den vergangenen zehn Jahren zu erfolgreich waren).

Die Bereitschaft Chinas, die Rolle des globalen Stoßdämpfers zu übernehmen, hängt nun am seidenen Faden. Nach der großen Finanzkrise blieb das Land bei einer Politik der Währungsaufwertung. Heute lässt China eine Abwertung seiner Währung entsprechend den Fundamentaldaten zu. In der Tat ist nicht auszuschließen, dass auch andere Länder eine an rein nationalen Interessen ausgerichtete Politik der Währungsabwertung verfolgen.

Kann das Vertrauen wiederhergestellt werden?

Es bestehen Abwärtsrisiken. Doch was geschieht, wenn ein Handelsabkommen zwischen den USA und China bereits frühzeitig erzielt wird? Dann könnte es zu einer Verlängerung der Rally bei zyklischen Anlagen wie Aktien kommen, was wir über die vergangenen fünf Jahre hinweg beobachten konnten. Das schon seit einiger Zeit unterbewertete Öl und auch die Industriemetalle könnten sich erholen. Eine Normalisierung der Geldpolitik könnte wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Zentralbanken könnten anstreben, den zuvor verlorenen Handlungsspielraum wieder auszubauen.

Es ist jedoch fraglich, ob das internationale Vertrauen je in vollem Umfang wiederhergestellt werden wird. Die Schwellenmärkte, scheinbar häufig Opfer politischer Entscheidungen der USA, könnten zögern, zum Status quo zurückzukehren. Man muss wissen, dass viele Zentralbanken in Schwellenländern ihre Reserven diversifiziert und diese beispielsweise aus dem US-Dollar in Gold umgeschichtet haben.

Ein schädliches Tauziehen um den Autohandel

Ein Abkommen zwischen den USA und China bedeutet außerdem nicht gleichzeitig den Abschluss eines globalen Abkommens. Nach dem "erfolgreichen" Abschluss von Handelsabkommen mit Kanada, Mexiko und daraufhin China (falls es zu einem Deal mit den USA kommen wird), ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die USA auf Europa konzentrieren werden. Das Land hat bereits mit der Einführung von Zöllen auf europäische Autoimporte gedroht. Die USA sind der wichtigste Exportmarkt für europäische Autos und machen 29 Prozent des Werts aller aus der EU exportierten Autos aus. US-Unternehmen exportieren im Vergleich dazu nur 19 Prozent ihres auf Autos entfallenden Exportwerts nach Europa.

Um die Handelsvolumen zu relativieren, sollte beachtet werden, dass der globale Autohandel rund 8 Prozent des Welthandels ausmacht, was deutlich über jenen
3 Prozent liegt, die den Handelsströmen zwischen den USA und China zufallen. Deshalb könnte das globale Tauziehen um den Autohandel noch viel Schaden anrichten.