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Gewissen, Architektur und der Missbrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs

Von Peter Reischer

Gastkommentare

Man kann den Klimawandel ignorieren - eine sinnvolle Lösung ist das aber nicht. Dass wir in den kommenden Jahren unseren Lebensstandard nicht in der derzeitigen Höhe halten können, muss jedem klar sein.


Das Scheitern der jüngsten Klimakonferenz in Madrid war bedauerlich, aber zu erwarten. Denn solange es Journalisten und Medien gibt, die es für wichtiger halten, über eine (im Zug) auf dem Boden sitzende Greta Thunberg zu schreiben, anstatt sich mit den kindisch und kurzsichtig agierenden Politikern und Staatsvertretern einer Kohledynastie auseinanderzusetzen, besteht wenig Hoffnung in Bezug auf derartige Treffen - die eigentlich nur den Fluggesellschaften und Hotelbetrieben einen Gewinn bringen. Solche journalistische Ausflüsse dienen nur einer - vielleicht tagelangen - Ablenkung von den wesentlichen Problemen, die wir haben. Es ist müßig, hier jetzt wieder einmal die Superlative der Hiobsbotschaften aufzulisten, sinnvoller ist es, auf das persönliche Ego zu verweisen.

Umweltbewussten Lesern wird die Website www.mein-fussabdruck.at ein Begriff sein. Gerade habe ich wieder einmal diese Seite besucht und nach bestem Wissen und Gewissen meinen Fußabdruck ermittelt. Bei allem Schwindeln und Augenzudrücken war das Ergebnis doch erschreckend. Ich verbrauche trotz meines eher bescheidenen Lebenswandels täglich 3,91 Erden (der dabei gewissensberuhigende Durchschnitt in Österreich liegt bei 5,31). Es gibt aber nur eine Welt, selbst wenn man viel schummelt und vielleicht auf 1,5 Erden runterkommt - wir haben nur eine Erde zur Verfügung. Wie bewältigen wir dieses Phänomen?

"So schlimm wird esschon nicht sein"

Eine Möglichkeit ist sehr weit verbreitet: Wegschauen. "So schlimm wird es schon nicht sein, man merkt ja eh nichts davon, die 2 Grad plus in zehn Jahren sind doch vernachlässigbar." Dieses Argument hat eine gewisse Berechtigung, denn erstens steht die Welt ja schon seit zig Millionen Jahren, und Temperaturschwankungen hat es immer schon gegeben. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass wir bereits im Anthropozän leben, in einer Epoche also, in der der Mensch zu einem bestimmenden Faktor für die Veränderungen der Ökologie und des Klimas geworden ist. Auch wenn ein (laut den "Salzburger Nachrichten") "vorsintflutlicher" Präsident aus den USA immer noch behauptet, der Klimawandel sei lediglich eine Erfindung der Chinesen.

Zweitens sagt eine wissenschaftliche Studie, dass der Mensch nicht in der Lage ist, eine langsam herannahende Katastrophe oder Gefahr wahrzunehmen. Er verhält sich wie eine Fliege in der Sonne - die kann man auch, wenn man sich ihr langsam (am besten von hinten) nähert, erschlagen. In der Evolutionspsychologie gibt es einige kluge Köpfe, die dieses Verhalten ganz genau erklären können. Unter anderem damit, dass dem Menschen die Fähigkeit zu einer umfassenden Wahrnehmung seiner Realität fehlt - Infrarot und Ultraviolett, ganz tiefe und sehr hohe Töne (und einiges andere auch) können wir nicht wahrnehmen.

Im Unterschied zur erwähnten Fliege ist der Mensch aber ein mit Vernunft und Intelligenz begabtes Wesen. Also ist das Wegschauen oder Nichtwahrhabenwollen der Klimaveränderung und all der anderen Probleme eher seiner Ignoranz zuzuschreiben. Die Katastrophen passieren eben im Fernsehen und momentan in Australien, nicht in Austria. Im Zweifelsfall hat man immer noch die Methode der Gewissensberuhigung mittels einer Spende für die Krisengebiete und deren Opfer.

Wir glauben, mit Ablasshandel die Welt retten zu können

Eine weitere Möglichkeit der Gewissensberuhigung steht uns mit dem Begriff der (Energie-)Effizienz zur Verfügung. Diesen haben wir in unseren Sprachgebrauch eingeführt beziehungsweise wieder neu entdeckt, um damit ein Instrument zur - leider nur theoretischen - Eindämmung unserer Verschwendungssucht in die Hände bekommen. Unser Energieverbrauch hat sich nämlich, statt wie in den Kyoto- und sonstigen scheinheiligen Protokollen oder bei der Klimakonferenz in Paris vor drei Jahren vereinbart, nicht verringert, sondern ist gestiegen - trotz aller Effizienzsteigerungen.

Auch der CO2-Ausstoß liegt in Österreich weit über den international vereinbarten Werten. Wir zählen in diesem Bereich zu den absoluten Schmuddelkindern. Also zahlt unsere Regierung lieber Millionen Euro an Bußgeld und kauft Zertifikate von Vorzugsschülern der Umweltpolitik, statt dieses Geld in Wirtschaft, Forschung, Entwicklung und Erziehung zu stecken. Und wieso gibt es keinen Aufschrei der Wähler bei diesen Informationen? Diese Zertifikate sind Papiere, ein moderner Ablasshandel, und wir glauben, mit Papierzetteln die Welt retten zu können?

Auch der - mittlerweile zu einem Unwort verkommene - Begriff der Nachhaltigkeit wird von Wirtschaft, Politik und auch anderen schwer missbraucht. Gezielte Des- beziehungsweise Falschinformation wird da genauso eingesetzt, wie Medien und Journalisten benutzt werden. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass ökologisches und nachhaltiges Bauen mit dem Argument "zu teuer" behaftet ist? Ein Holzbau ist sicher nicht teurer als das gleiche Volumen in Stahlbeton errichtet. Allerdings muss man da bei beiden Architekturen die Zeitachse (enkelgerecht) miteinbeziehen und nicht im Augenblick der Entstehung kalkulieren. Genauso ist es bei den als "zu teuer" für den Durchschnittsbürger bezeichneten Bio-Lebensmitteln. Sicher ist ein Bio-Huhn teurer als über tausende Kilometer herangekarrte geschmacklose Fleischteile von in großen Mengen und in kürzester Zeit hochgepäppelten Hühnern.

Architektur ohne Erdölprodukte, Heizung, Lüftung, Klimaanlage

Aber die Kosten, die im Gesundheitsbereich (nach Jahren) durch ungesunde Ernährung entstehen, und der dadurch auftretende Arbeits- und Leistungsverlust stehen in keinem Verhältnis zum etwas höheren Anschaffungspreis von gesunder Nahrung. Ganz abgesehen von der Verringerung der persönlichen Lebensqualität der Betroffenen. Und wie kann oder darf etwas, das nachweislich zur Gesunderhaltung der Menschen, zur Rettung unserer Welt dient und auch den Klimawandel bremsen kann, teuer oder gar zu teuer sein? Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären?

Ein ausgewiesener Experte eines Ökologieinstitutes bei einer Podiumsdiskussion behauptete, dass wir Architekturen dämmen müssen, weil wir sonst zu viel Energie verbrauchen und damit nicht effizient sind. Das ist für mich eine absolut hinterfragenswerte Aussage. Wer bestimmt, dass wir dämmen "müssen"? Und wer bestimmt über das "Zuviel" an Energieverbrauch? Das international tätige Architekturbüro Baumschlager Eberle Architekten hat schon vor Jahren in Vorarlberg das Gegenteil bewiesen.

Vielleicht ist ein Mehreinsatz an (auch geistiger) Energie (und Geld) beim Bauen auf lange Sicht betrachtet billiger als der Effizienzwahn? Wieso kann eine Architektur, die ohne Erdölprodukte, ohne Heizung, ohne Lüftung und Klimaanlage auskommt, auf einmal genauso teuer - oder sogar billiger - als vergleichbare andere Bauten sein? Ist unsere ganze Effizienzhörigkeit vielleicht ein Irrtum? Geht also auch anders, ohne teure Haustechnik, ohne Erdölderivate zur Wärmedämmung, geht es einfacher und billiger? Was aber nicht heißen soll, dass das Projekt "2226" von Baumschlager Eberle in Lustenau der Weisheit letzter Schluss sei.

Handlungen statt Worten - und Unangenehmes aussprechen

Die Diskussion "Architektur versus Nachhaltigkeit" hat nicht den Sinn, Feindbilder wie Stahlbetonmonster oder multinationale Konzerne auszumachen, denn den Kampf gegen den Klimawandel können wir nur gemeinsam gewinnen. Es bedarf einer klugen Mischung aus Maßnahmen, Verzicht, Reduktion, auch Verboten und vor allem Neudenken um die nötigen Änderungen zu erreichen. Allerdings muss man das auch wollen und nicht wie die grüne Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein öffentliche Aussagen tätigen wie: "Wenn man den CO2Ausstoß reduzieren will . . ." Dieser Satz beweist nur, dass sie fast gar nichts (außer an der Macht bleiben) will und auch gar nichts verstanden hat. Am allerwenigsten die Notwendigkeit von Handlungen statt Worten. Und Politiker, die sich nicht trauen, die (manchmal unangenehme) Wahrheit zu sagen, sind es nicht wert und würdig, gewählte Vertreter einer Demokratie zu sein.

Wir werden in den kommenden Jahren unseren Lebensstandard nicht in der derzeitigen Höhe halten können - das muss jedem klar sein. Millionen von Menschen, die aus unbewohnbar werdenden Teilen (Hitze, Dürre, Wasserknappheit) der Erde nach Europa ziehen, stellen eine enorme soziale Anforderung an unser System (und auch an die Architektur) dar. Zu sagen: "Bleibt, wo ihr seid", und die Grenzen dichtzumachen, ist eine Möglichkeit, wird aber unweigerlich zum Krieg und zu wesentlich größerem Leid führen. Also müssen wir umdenken, verzichten lernen, unsere (wahrlich luxuriösen) Ansprüche an den Lebensstandard reduzieren und teilen lernen. Das wäre der Beginn eines Wandels im Denken. Der erste Versuch, den Problemen aus einem anderen Blickwinkel zu begegnen, aus der Perspektive der Suffizienz, der Einfachheit und Bescheidenheit. Dieser Denkansatz könnte doch glatt Schule machen.