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Hausaufgabe 2020

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer ist Inhaberin von Symfony Consulting, Wirtschaftspädagogin und Sprecherin des "AK Industrie 4.0/IoT" in Wien.
© privat

In Zeiten digitaler Verfügbarkeit rund um die Uhr gilt es, fokussieren zu lernen.


"I want it all. I want it now." Das fordern mit Google, Apple, Amazon und Social Media Aufwachsende. Befeuert werden sie vom Anspruch ihrer Elterngeneration an sie, ebenso zu liefern: Kompetenzen sollen die Jugendlichen in ihren Schulen ebenso fix und kostengünstig erlernen, wie Amazon die Spielekonsole ins Haus liefert. Erstens, weil sich die jungen Leute ja jederzeit alle Infos aus dem World Wide Web organisieren können.

Zweitens, weil ja heutzutage für jeden Lernstoff ein spannendes Erklärvideo oder ein kurzweiliges Spielchen online verfügbar ist. Wenn eine Supermacht Politik in 140 Zeichen machen kann, wird doch eine Matura auch so möglich sein.

Drittens müssen Erwachsene sich selbst um sehr viel kümmern: Von A wie Alltagsorganisation über P wie Politik und U wie Update bis Z wie Zukunftsvorsorge gilt es täglich Entscheidungen zu treffen. Ein grundsätzliches Gefühl von Verantwortlichkeit für die Welt verstärkt die Atemlosigkeit: Für Themen von A wie "Amazonas brennt!" bis Z wie "Zivilisationsende durch Klimakatastrophe!" fordern Social Media Likes, Kommentare und Sharing von Inhalten rund um die Uhr. Eine Welt voller Eindrücke und Informationen, die im Wesentlichen über einen Bildschirm von 3 mal 6 Zentimetern wahrgenommen wird. So klein die Fläche des Eindrucks ist, so rasch muss die Einschätzung und Bewertung erfolgen, denn die nächste Nachricht oder das neueste Update poppt schon auf.

Wer mit Jugendlichen arbeitet, weiß, wie schwer es für sie ist, sich mit digitalen Endgeräten zu konzentrieren. Ebenso schwierig ist es für sie, sich aus digital verfügbaren Informationen ein realistisches, vielfältiges Bild von der Welt zu machen - die Gehirnforscher nennen die biologischen Gründe dafür. Und manch Erwachsener kennt die Probleme aus eigenem Erleben.

2020 leben wir in der komplexesten Welt seit Menschengedenken mit einer hohen digitalen Verfügbarkeit an Informationen aller Art. Doch bei allen technologischen Möglichkeiten ist Erfahren, Reflektieren und Lernen für Menschen noch immer am besten mit verlässlichen und kompetenten Bezugspersonen und in Kleingruppen möglich. Dies entspricht dem Bedürfnis nach Interaktion mit anderen Menschen, nach gemeinsamen Erlebnissen und sich anderen mitzuteilen. Es ist unbestritten, dass darauf der Siegeszug von Internet, Smartphone und Social Media basiert.

Gefährlich daran ist das große Ablenkungspotenzial dieser Werkzeuge. Betroffen davon sind Erwachsene wie Jugendliche. Aber Jugendliche sind besonders schutzwürdig, und sie besuchen alle Schulen, die nun laut Regierungsprogramm digitalisiert werden sollen.

Um die Nachteile der neuen Lernmedien auszugleichen, müssten "Ruhe- und Reflexionsräume" eingeplant werden. In denen könnten Schüler recherchieren, nachdenken, abwägen und das Formulieren einer Meinung erlernen. Der derzeit vorherrschende Regelunterricht lässt aufgrund der Fülle an Lehrinhalten und Klassengrößen dafür nicht genug Zeit. Aber die Kompetenz des Fokussierens ist zu einer unverzichtbaren neuen Schlüsselqualifikation für den Erfolg geworden.