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Bitte eine faktenbasierte Klimadebatte

Von Wilfried Winiwarter

Gastkommentare

Das naturwissenschaftliche Verständnis lässt wenig Interpretationsspielraum über Ursachen der globalen Erwärmung offen.


Der Gastkommentar von Rudolf Bretschneider in der "Wiener Zeitung" vom 22. Jänner ("Die anthropoghene Erderwärmung") erlaubt, auf Details in den wissenschaftlichen Analysen zur anthropogenen Erderwärmung einzugehen. Er hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass Wissenschaft vom Austausch unterschiedlicher Standpunkte lebt. Völlig richtig identifiziert er auch eine Reihe von Kontroversen unter Klimaforschern. Messmethoden der globalen Durchschnittstemperaturen, der Quantifizierung der Erhöhung des Meeresspiegels, oder der Modellierung der globalen Atmosphäre sowie der Klimasensitivität standen und stehen auf dem Prüfstand, sie wurden und werden intensiv diskutiert. Das ist gut so und wichtig. Auch Fehler werden gemacht und Fehleinschätzungen wissenschaftlich publiziert, die nachträglich korrigiert werden müssen. Das mag für Einzelpersonen peinlich sein, für den Erkenntnisgewinn ist es aber sehr hilfreich.

Was er dabei unterschätzt, ist, welche Fortschritte die Wissenschaft in den Jahrzehnten, seit es die Klimaforschung gibt, gemacht hat. 1975, in einer Periode der globalen Abkühlung, spekulierte der Wissenschafter W.S. Broecker in "Science" mit einer möglichen zukünftigen Erwärmung aufgrund der sich erhöhenden Konzentrationen an Kohlendioxid in der Atmosphäre, wenn gleichzeitig die "kühlende" Luftverschmutzung erfolgreich reduziert würde. 1990 wurde der erste Bericht des Weltklimarates IPCC publiziert, in dem aus damals bereits zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten auf einen möglichen anthropogenen Beitrag zur globalen Erwärmung geschlossen wurde. Die Voraussagen der Klimaforscher, dass die globalen Temperaturen ansteigen würden, sind bemerkenswert genau eingetroffen, obwohl die Computertechnologie damals nur rudimentäre Modellierungen ermöglichte.

Temperaturbestimmung mittels GPS-Daten

Seit 1975 haben sich die vom Menschen verursachten Emissionen des wichtigsten Treibhausgases CO2 verdoppelt, und die Konzentrationen in der Atmosphäre sind um fast 25 Prozent gestiegen. Der Abstand zum vorindustriellen Niveau beträgt somit heute etwa das Dreifache der Situation von 1975. Daher ist es nicht überraschend, dass auch die Auswirkungen dieses Treibhausgases auf die Atmosphäre viel deutlicher werden. Gleichzeitig haben sich auch die wissenschaftlichen Methoden deutlich verbessert.

Wir alle wissen, dass wir mit kostengünstigen Smartphones dank GPS-Technologie unseren Standort fast überall auf der Welt auf wenige Meter genau bestimmen können. Weniger bekannt ist, dass die gleiche Technologie (Signale zwischen den GPS-Satelliten) dazu herangezogen werden kann, global, präzise und räumlich wie zeitlich fein aufgelöst die Temperatur der Atmosphäre zu bestimmen. Wir sind also nicht mehr auf nur in manchen Regionen vorhandenen Messstationen und Wetterbeobachter angewiesen, wenn wir die globale Durchschnittstemperatur wissen wollen (was übrigens nicht als Rechengröße wichtig ist, sondern vor allem der Überprüfung des globalen Strahlungshaushaltes dient). Die besseren Datengrundlagen und gleichzeitig mit moderner Computertechnologie wesentlich verfeinerten Rechenmodelle erlauben dem IPCC, die menschlichen Aktivitäten "fast sicher" als Ursache der beobachteten globalen Erwärmung zu bezeichnen.

So wie kaum ein vernünftiger Mensch an den Funktionen eines Smartphones zweifelt, ist auch Rudolf Bretschneider klar, dass es eine globale Erwärmung gibt und dass das naturwissenschaftliche Verständnis zu diesem Thema - trotz aller Diskussionen - wenig Interpretationsspielraum über Ursachen und auch zukünftige Wirkungen offen lässt. Als Sozialwissenschafter weiß er viel besser als ich, welche Diskussionen er mit seinem Artikel auslöst (beziehungsweise auslösen will).

Bis 2100 ist eine Erwärmung um 6 Grad zu befürchten

Aus meiner wissenschaftlichen Kernkompetenz heraus, der Beschäftigung mit möglichen und tatsächlichen Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen muss ich seine abschließende Einschätzung teilen, dass wir auch lernen werden müssen, mit einem geänderten Klima umzugehen. Trotz politischer Willenserklärungen gibt es bisher wenig realen Anlass zu glauben, dass die Emissionen von Treibhausgasen tatsächlich massiv zurückgehen werden, und schon gar nicht deren Konzentrationen. Damit werden auch die künftige Temperaturen weiter steigen.

Zu Recht könnte er Klimaforschern vorwerfen, dass diese auf der Basis unverbindlicher Aussagen von Entscheidungsträgern vom Erreichen eines 2-Grad- oder eines 1,5-Grad-Zieles sprechen, aber eigentlich wissen, dass alle Trends in Richtung einer Temperaturerhöhung von 6 Grad bis 2100 deuten. Das wäre klar außerhalb der nacheiszeitlichen globalen Stabilitätsphase des Holozäns, des Zeitraums der vergangenen 20.000 Jahre, in dem sich die menschliche Zivilisation entwickelt hat. Von den Konsequenzen sind wir beide aus Altersgründen wohl nicht mehr betroffen.