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Die ewige britische Europa-Debatte

Von Liam Hoare

Gastkommentare
Liam Hoare (geboren 1989 in Crawley, Großbritannien) studierte Geschichte an der School of Slavonic and East European Studies des University College London. Er arbeitet als freier Journalist und lebt seit 2017 in Wien. Er ist Europa-Redakteur des "Moment Magazine" und schreibt über Politik und Literatur für britische und amerikanische jüdische Publikationen.
© privat

Die Argumente der Brexiteers haben sich in 45 Jahren nicht verändert.


1975 veranstaltete die BBC eine TV-Debatte über den Platz Großbritanniens in der Europäischen Gemeinschaft. 1973 war das Land unter dem konservativen Premier Edward Heath der EG beigetreten, aber schon ein Jahr später, nachdem Heath vorgezogene Neuwahlen anberaumt hatte, versprachen Harold Wilson und seine damals tiefgespaltene Labour-Partei, dass sie die Bedingungen der britischen EG-Mitgliedschaft neu verhandeln und eine Volksabstimmung darüber abhalten würden. Wilson gewann die Wahlen, und die Briten erörterten also 1975 nochmals das Thema Europa.

Der damalige sozialdemokratische Schatzkanzler Roy Jenkins (1977 bis 1981 EU-Kommissionspräsident) erklärte, Großbritannien könne seinen Einfluss in Europa nur geltend machen, wenn es in der EG bleibe. Der den linken Labour-Flügel anführende Technologieminister Tony Benn war anderer Meinung: Gesetze und Regeln würden in Brüssel verabschiedet, das britische Volk könne daran nichts ändern, sagte er. Großbritanniens EG-Mitgliedschaft untergrabe die britische Demokratie und Souveränität.

Die europafreundliche Kampagne "Britain in Europe" gewann das Referendum am 5. Juni 1975 mit 67,2 Prozent (bei 64 Prozent Wahlbeteiligung), aber die Debatte ging weiter.

Die heutige politische Klasse ist ein schwacher Abklatsch des Talents der 1970er Jahre im Vereinigten Königreich. Beim neuerlichen britischen EU-Referendum 2016 gab es keinen Unterschied zu den Argumenten, die Benn 1975 in der BBC vorgebracht hatte. Die Parole der Anti-EU-Kampagne lautete auch diesmal: "Vote leave - take back control."

Das beeindruckende Ergebnis der Unterhauswahlen am 12. Dezember bestätigte das Unvermeidliche. Der zweite Sieg für die Tories seit dem Brexit-Referendum bedeutet faktisch, dass die britische Wählerschaft offensichtlich keine Käuferreue hat. Ihr Wille kann nicht mehr missachtet werden, und die Wähler müssen nun die Konsequenzen ihrer Entscheidung tragen. Großbritannien muss also am 31. Jänner die Europäische Union verlassen.

Heute feiern die Brexit-Befürworter, aber sie sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Der konservative Premier Boris Johnson hat den grundlegenden Widerspruch des Brexit-Projekts noch nicht aufgelöst. Er will eine lockere Verbindung mit der EU, um Freihandelsabkommen mit den USA und anderen Nationen unterzeichnen zu können, aber außerhalb des Rahmens der EU-Zollfreiheitszone zu sein, könnte zur Auflösung des Vereinigten Königsreichs führen. Irgendwann in der Zukunft wird seine Regierung sich entscheiden müssen, ob der Traum eines "Singapur an der Themse" wichtiger ist als die politische Union mit Nordirland und Schottland.

Der Blick zurück auf das TV-Duell zwischen Jenkins und Benn 1975 zeigt, dass die europapolitische Auseinandersetzung in Großbritannien nie geendet hat. Sie hat sich immer wieder wiederholt. Möglicherweise wird, wann die Wahlkampfplakate der europafeindlichen Parteien zu Staub und Asche zerfallen und ihre leeren Versprechen vom Wind verweht worden sind, die europäische Frage wieder in den Mittelpunkt rücken. Alles ist für die Ewigkeit gebaut - bis es irgendwann in Trümmern liegt.