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Demokratie braucht Bürgermitbestimmung

Von Helmut Pietzka

Gastkommentare

In den meisten Verfassungen fehlt ein gut ausgebautes Informationsrecht des Souveräns. Das ist bei Wahlen ein Problem.


Die Demokratie ist nirgendwo richtig verwirklicht und in den sogenannten demokratischen Ländern bei einem unfertigen Wahlrecht steckengeblieben. Ein gut ausgebautes Informationsrecht der Bürger fehlt in den meisten Verfassungen. Dadurch werden Wahlen auf das Niveau von Vertrauensbeweisen für eine Partei gedrückt und sind keinesfalls auf Fakten gegründete Entscheidungen. Beachtenswert sind die bis heute noch üblichen Danksagungen der Parteien für das ihnen bei Wahlen gegebene Vertrauen.

Das Wahlrecht ohne Information der Bürger lag sicher auch im Interesse der Parteien, die sich von Helfern bei der Meinungsbildung der Bürger zu Unternehmen entwickelten, die die Lösung von Sachproblemen auch zur Absicherung des eigenen Fortbestandes nutzten. Hans Kelsen, Vater der österreichischen Verfassung, meinte, dass die einzelnen Bürger ihre Meinung zu politischen Problemen nicht individuell, sondern nur über ihre Zugehörigkeit zu Parteien ausdrückten. Die schwache Stellung des Einzelnen in der zu Ende gehenden Monarchie zeigt sich hier auch im Denken eines fortschrittlichen Menschen. Das war natürlich gut für jede Partei.

Der Parteienstaat brachte die Dominanz der Parteiführungen. In Koalitionsmehrheit heben sie die Gewaltentrennung auf, weil sie bestimmen können, wer an wählbare Stelle auf die jeweilige Parteiliste kommt, Minister wird, in die Höchstgerichte einzieht oder eine Führungsposition in der Notenbank erhält. Natürlich geben sie auch das richtige parlamentarische Abstimmungsverhalten ihrer Abgeordneten zu Sachthemen vor. Von "checks and balances" kann keine Rede mehr sein.

Information als Bringschuld

Bürgerinformation ist eine Bringschuld der Parteien. Information ist nicht bloß Einbau einer von Experten im Fachjargon erstellten Problemanalyse mit Lösungsansätzen in die Partei-Homepage. Viel wichtiger ist die Information, wie die Führungspersonen der Parteien detailliert zu Lösungsvorschlägen stehen und welchen Einfluss sie auf die wichtigsten Bevölkerungsgruppen sehen. Die Information über die Stellung der Parteibosse zu den Problemen sollte in jeder Gemeinde aufliegen und im Internet abrufbar sein.

Nur über eine ausgebaute Bürgerinformation und den ernsthaften Einsatz der Parteiführer dafür kann die Bürgermitbestimmung ein Erfolg werden. Die zu Unternehmen gewordenen Parteien wünschen sich trotz Lippenbekenntnissen für Konkurrenz eine Monopolstellung für ihr Produkt. Das Produkt der Parteien ist das Erkennen von Problemen zur richtigen Zeit und das Bewerben von Lösungsvorschlägen. Jede Mitsprache der Bürger schwächt die Stellung der Parteiführer als Staatsführungsexperten, denn sie würde zeigen, dass man als Politiker nicht das Bildungsniveau eines Raketentechnikers braucht, sondern dass der normale Hausverstand genügt.

Wahlrecht der Bürger, Informations- und Erklärungspflicht der Parteiverantwortlichen vor und nach der Wahl sind nur der erste Teil der Demokratieverwirklichung. Der zweite Teil ist die verfassungsrechtliche Festlegung, dass die Parteiführer aufgrund ihrer Wahl nicht zur selbständigen Artikulation der Vorstellungen der Bürger berufen sind. Sie haben bloß ein Vorschlagsrecht verbunden mit Erklärpflicht. Sie sollen ihre Vorschläge erst dann verwirklichen können, wenn die Bürger ihr verfassungsrechtliches Widerspruchsrecht nicht nutzen. Die heute übliche Begutachtung von Regierungsvorschlägen durch die üblichen Verdächtigen reicht nicht. Die Demokratie überall auf der Welt wird erst dann ihre ganze Wirkung zeigen, wenn die erwähnten Prinzipien in die Verfassungen aufgenommen und von den Führungspersonen der Parteien strikt eingehalten werden.

Einst Fürsten, heute Parteichefs

Wir sehen eine Verjüngung der Führungspersonen in den Parteien, aber ihr politisches Verhalten unterscheidet sie nicht von den Altpolitikern. Der moderne Parteichef wagt es, sich und sein Programm aufgrund seiner Überlegenheit offen der Kritik zu stellen. Er traut sich auch, für das nötige Widerspruchsrecht der Bürger zu Parlamentsentscheidungen zu werben und die Bürger als den wahren Souverän zu bezeichnen. Durch die so dargestellte Macht und Aufgabe der Bürger würden auch auftauchende Wünsche nach Parteiführern abflauen, die ihre Entscheidungen ohne Rücksicht auf Wahlergebnisse und anschließende parlamentarische Diskussionen treffen können.

Noch heute sehen es die Parteichefs als ihr Recht und ihre Aufgabe an, das Gemeinwesen nur nach ihrem Gutdünken zu steuern. Früher übten die Fürsten Einfluss aufs eigene und auf fremde Gemeinwesen aus, heute ist das nicht anders. Friedenssicherung wird erst durch Bürgermitbestimmung erfolgreich werden. Es sind die Alpha-Typen, die Egomanen, die das ganze Volk eigenständig steuern, Einfluss in fremden Gemeinschaften anstreben und dafür auch Krieg führen wollen. Die ihnen Untergebenen trauen sich nicht zu widersprechen. Für sie ist Krieg nur großes Risiko, sie können keinen Vorteil daraus ziehen. Aber sie haben kein Recht zu widersprechen. Die Nato zum Beispiel will den Weltraum zum militärischen Operationsgebiet machen. Aber wollen wir Bürger das auch?