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Das Unwort der Nahostforschung

Von Arno Tausch

Gastkommentare

Warum man sich trotz Kritik mit dem Begriff "politischer Islam" auseinandersetzen sollte.


In Österreich scheint es in jüngster Zeit in Mode gekommen zu sein, den Begriff "politischer Islam" als Unwort zu bezeichnen. Ümit Vural, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), meinte vor kurzem dazu: "‚Politischer Islam‘ ist zum reinen Kampfbegriff verkommen." Stargast einer Veranstaltung, die Ende März 2019 in Wien stattfand und diesen Begriff problematisieren sollte, war Professor John Esposito aus Washington, der aber früher selbst Studien mit diesem Titel veröffentlichte.

Nun will die türkis-grüne Bundesregierung laut Regierungsprogramm den politischen Islam bekämpfen. Nach Vurals Ansicht stigmatisiert dieser Begriff "pauschal alle in Österreich lebenden Musliminnen und Muslime". Unterstützung erhielt er in der seither einsetzenden Debatte von ÖVP-Urgestein Erhard Busek, der Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi, dem Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister, dem evangelischen Theologen Bernhard Lauxmann, dem Politologen Anton Pelinka und dem katholischen Theologen Paul M. Zulehner, während die Politologin Nina Scholz und der Journalist Karl Pfeifer diesen Begriff in Schutz nahmen.

Die weltweite Nahostforschung kommt allerdings ohne die Verwendung des Begriffs "Political Islam" einfach nicht mehr aus. An jeder guten Universität der Welt wird in einem Einführungskurs zur Nahostforschung darauf hingewiesen, dass in der umfangreichsten Zeitschriftendatenbank der Welt, "Scopus", 816 Studien zum Thema "Political Islam" enthalten sind. Nicht wenige dieser Artikel wurden von muslimischen Forscherinnen oder Forschern verfasst.

Muslimische Meinungsbilder

Es grenzt an Rassismus und Xenophobie, nicht wahrhaben zu wollen, dass hervorragende arabische Forscherinnen und Forscher, die in Princeton, in Amman oder in Katar lehren, wie Amaney Jamal, Darwish Al-Emadioder oder Musa Shteiwi, den Begriff "Political Islam" durch folgende Dimensionen klar umrissen und ihn im "Arab Barometer", einer der besten transnationalen Umfragen der Welt, fix und fertig gemessen haben. "Political Islam" tritt dem Team des "Arab Barometer" zufolge immer dann auf, wenn in der Region folgende Meinungen vertreten werden:

Es ist besser, wenn religiöse Führer öffentliche Ämter bekleiden.

Religiöse Führer sollen Regierungsentscheidungen beeinflussen.

Religiöse Führer sind weniger korrupt als zivile.

Religiöse Führer sollen Wahlen beeinflussen.

Religiöse Praxis ist keine Privatangelegenheit.

Darüber hinaus erfasst der unter anderem von Katar kofinanzierte "Arab Barometer" auch Dimensionen des politischen Islams in folgenden Bereichen:

Wirtschaft;

Hass auf den Westen;

Patriarchat;

Ablehnung der liberalen Demokratie und des Rechtsstaates;

religiöse Intoleranz.

Viele Bücher zu "Political Islam"

Der "Arab Barometer", der die Meinungsprofile von mehr als drei Viertel der gesamten weltweiten arabischen Bevölkerung in 11 der 22 arabischen Ländern misst, nennt aktuell das Ausmaß islamistischer Denkweisen in der Region. Wie sind solche Studien rezipiert worden? Analysieren wir die Bestände der globalen Bibliotheken der Welt mit dem fortgeschrittensten Verbundkatalog, dem "OCLC Worldcat", erkennen wir, wie unsinnig eine Art Diskussionsmoratorium oder ein Diskussionsstopp über den "politischen Islam" wäre und dass Bücher, darunter wahre Klassiker der Nahostforschung, mit explizitem Bezug im Titel zu "Political Islam" heute von Alaska bis Chile, von Nordnorwegen bis Kapstadt und Neuseeland und natürlich auch in führenden Forschungszentren in der arabischen Welt vorhanden sind und den dortigen Forschenden und Studierenden dienen. Der "OCLC Worldcat" nennt nicht weniger als 2923 Studien zum Titel "Political Islam", und nicht weniger als 48 davon sind heute globale Klassiker der Wissenschaften, die jeweils an mehr als 500 globalen Bibliotheken vorhanden sind.

Es hieße, die Forschungswelt und auch die Welt der Politik in Österreich für dumm zu verkaufen, wenn man nun quasi ein Debattenmoratorium über den politischen Islam einführte. Der wohl am meisten schlagende Beweis hierzu ist ein Blick in den Unionskatalog der akademischen Bibliotheken der türkischen Republik, den "Toplu"-Katalog: Nicht weniger als 329 Studien zum Thema "Political Islam" sind an den Forschungszentren und akademischen Bibliotheken dieses weiten Landes vorhanden; und auch das Forschungszentrum von Präsident Recep Tayyip Erdogans AKP-Partei hat elf derartige Studien in seinen Regalen.

Es ist also zumutbar, dass sich die Beamtenschaft unseres Landes in den Ministerien, im Kultusamt, beim Verfassungsschutz, in der Sicherheitsakademie des Innenministeriums und in der Landesverteidigungsakademie mit diesen Themen weiter aufmerksam und mit Sorge befassen.