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Seht mich sprechen! Muttersprache ist ein Grundrecht

Von Helene Jarmer

Gastkommentare
Helene Jarmer ist Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes ÖGLB und selbst gehörlos. Sie war von 2009 bis 2017 Abgeordnete der Grünen zum Nationalrat.
© Christian Treveller

Der 21. Februar ist der Muttersprache gewidmet - ein Gedenktag an etwas, das ausstirbt.


Als der 21. Februar vor 20 Jahren zum UN-Tag der Muttersprache deklariert wurde, gedachte man der toten Bangladeshi, die 1952 für die Anerkennung ihrer Sprache im damaligen Pakistan gekämpft hatten. Muttersprache ist wichtig. Sprache ist Kultur und Identität. Wird man seiner Sprache beraubt, dann geht sie verloren, wie auch ein Stück Menschenwürde verschwindet, das einem von der Gesellschaft abgesprochen wird, indem die sprachliche Identität negiert wird.

Während viele an diesem Tag der weltweit gesprochenen Sprachen gedenken, die unbemerkt vom Aussterben bedroht sind - etwa 3300 - und kulturelle Vielfalt unwiederbringlich verloren geht, kämpfen wir, die Gemeinschaft der gehörlosen Menschen, für die Anerkennung unserer Sprachen und unserer Minderheitenrechte.

Die wenigsten Menschen wissen, dass Deutsch für gehörlose Personen eine Fremdsprache ist. Die Mutter- oder Erstsprache von 10.000 gehörlosen und vielen schwerhörigen Personen ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS). Dabei reden wir nicht "mit Händen und Füßen" im Sinne kreativ übersetzter Lautsprache. Die Gebärdensprachen dieser Welt verfügen über Vokabular, Syntax und Grammatik. Ihre Beherrschung wird nach dem Europäischen Referenzrahmen in sechs Stufen von A1 (Anfänger) bis C2 (Experten) bewertet, wie die Beherrschung von Lautsprachen.

Wir können in unserer Sprache alles kommunizieren: Content, Emotion, sogar Lautstärke, wenn wir mit ausdrucksstarker Mimik große Gebärden zeigen. Wir gebärden Fachjargon auf internationalen Kongressen und Poesie, skandieren in Chören und erzählen unseren Kindern Gutenachtgeschichten. So lernen wir sie als Babys. Wir wachsen mit Gebärden auf, in Posen und Bewegung in unserem Ausdruck.

Erst in der Schule lernen wir Deutsch - und hier beginnt das Problem: Wir lernen das Lesen und Schreiben einer Lautsprache, die so ganz anders funktioniert als die Gebärdensprache. Eine Fremdsprache, die nicht aus Bildern, Gesten und Mimik besteht, sondern in Buchstaben zerlegt wird. In einem zweisprachigen Unterricht, in dem ÖGS als Erstsprache anerkannt wird, lernen gehörlose Kinder so gut und so schnell wie hörende. Sie sind nicht behindert. Aber viele werden behindert, weil entsprechende bilinguale Klassen nur wenigen zugänglich sind. Sie verlassen die Schule oft als funktionelle Analphabeten, können keiner Berufsbildung folgen und sind am Arbeitsmarkt schwer zu vermitteln.

In Artikel 8 (2) des Bundesverfassungsgesetzes bekennt sich die Republik Österreich "zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, (...) Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern." Im selben Artikel (3) ist auch "Die Österreichische Gebärdensprache (...) als eigenständige Sprache anerkannt". Aber ohne Ausführungsgesetzgebung, die ÖGS als Mutter- oder Erstsprache gehörloser Personen anerkennt, bleiben gehörlosen Menschen fundamentale Grundrechte vorenthalten, wie der Zugang zu einer umfassenden, barrierefreien Bildung, das Recht auf Arbeit zu angemessenem Lohn, das Recht auf die Teilhabe an der Gesellschaft und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.