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Der Fachkräftemangel ist ein Schulthema

Von Ernst Smole

Gastkommentare

Zum Gastkommentar von August Wöginger vom 18. Februar 2020 in der "Wiener Zeitung", Seite 13.


Sehr wenig beachtet werden die Zusammenhänge zwischen der Qualität der Pflichtschulbildung und der Frage des Fachkräftenachwuchses. Eine aktuelle Untersuchung der WKO/Wien brachte zutage, dass in Wien laut Auskunft der lehrlingssuchenden Betriebe 66 Prozent der Bewerber abgewiesen werden müssen, weil sie das Lesen, Schreiben und Rechnen nicht am nötigen Niveau beherrschen. Diese Defizite betreffen zu einem erheblichen Prozentsatz auch autochthone Österreicher.

Sowohl das AMS und die Bildungswissenschaften als auch die Betriebe halten fest, dass jene, die in den neun Pflichtschuljahren bei der Aneignung des Lesens, Schreibens und Rechnens versagt haben, meist auch nicht gelernt haben, zu "arbeiten", also durchaus durch Anstrengung konsequent ein Ziel zu verfolgen und dieses auch zu erreichen - Stichwort "positive Arbeitshaltung". Zudem schließt sich in der Pubertät das "Lernfenster" für die Aneignung der genannten Grundkompetenzen. Das heißt, dass deren spätere Aneignung ein Vielfaches an Aufwand und Anstrengung bedeutet, die nur eine Minderheit der Betroffenen aufzubringen bereit ist.

Aus diesen Gründen ist die "Bildungspflicht bis 18" mit Skepsis zu betrachten. Sie sollte nur so lange praktiziert werden, bis Österreichs Bildungssystem es wieder schafft, allen zumindest durchschnittlich Begabten das Lesen, Schreiben und Rechnen auf alltags- und berufstauglichem Niveau beizubringen. Geldmangel ist nicht der Grund für die derzeitige Misere, denn Österreich wendet innerhalb der EU pro Schülerkopf (nach Luxemburg) den höchsten Betrag auf!

Hauptgründe für Versagen

Drei Hauptgründe für dieses Teilversagen der Schule lassen sich identifizieren. Die Lehrpersonen werden im Lehramtsstudium nicht ausreichend mit Blick auf die tatsächlichen Erfordernisse im Unterricht von heute vorbereitet - steigende Unterschiedlichkeit, Disziplinaspekte, starke Ausweitung der Aufgaben der Schule. Ein archaischer, aus den 1780er Jahren (!) stammender Schulverwaltungs- und Gestaltungsföderalismus - im internationalen Vergleich ist er strukturell und kostenmäßig (!) für ein Land mit 66 Millionen Einwohnern dimensioniert - verhindert, dass die investierten Finanzmittel tatsächlich in den Klassen ankommen und dass die individuellen Stärken der Lehrpersonen ihre volle Wirkung zum Nutzen der Schüler entfalten. Und nicht zuletzt schenken zu viele Erziehungsberechtigte den seit Jahrzehnten wiederholten Beteuerungen von großen Teilen der Politik Glauben, dass sich die Eltern nicht um den Schulerfolg ihrer Kinder kümmern müssten, da "dies alles der Staat macht".

Unterstützung der Eltern

Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass auch in den immer wieder als Allheilmittel angepriesenen Ganztagsschulen nur jene Schüler keine schulische Heimarbeit praktizieren, die nur das absolute Leistungsminimum anstreben. Wer überdurchschnittliche schulische Leistungen erbringen will, braucht so gut wie immer auch die Unterstützung der Eltern - in welcher Weise auch immer.

Dass aber die Wegstrecke, die Schüler heute zu Fuß zurücklegen, in eineinhalb Jahrzehnten mit teils dramatischen Folgen für die Gesundheit um bis zu 90 Prozent geschrumpft ist, kann man mitnichten der Schule oder der Politik anlasten - hier sind so gut wie ausschließlich die Erziehungsberechtigten in der Pflicht!

Das Nachdenken und das bildungs- und wirtschaftspolitische Handeln in Hinblick auf den Fachkräftemangel - immerhin geht es bei dieser Frage um die wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Prosperität Österreichs - muss daher ganz gezielt allerspätestens im Volksschulalter ansetzen. Die Wirtschaft "erdet" das Thema Bildung insofern auf eine sehr positive und werthaltige Weise, da sie völlig zu Recht Bildung im Kontext mit Erwerbsarbeit sieht. Diese wird auch in Hinkunft die Lebensumstände von Millionen bestimmen. In diesem Sinne muss möglichst ab sofort die Bildungspolitik die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik die Bildung mitdenken - und dies ohne Vorbehalte, Reviergeplänkel und interministerielle "Zuständigkeits-Egoismen".