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Die Sicherheitspolitik der Feigenblätter

Von Matthias Wasinger

Gastkommentare
Matthias Wasinger ist Offizier beim Österreichischen Bundesheer. Der Rechtswissenschaftler beschäftigt sich im Rahmen zahlreicher deutsch- und englischsprachiger Publikationen mit Themen der nationalen wie internationalen Sicherheitspolitik, Strategie und Militärwissenschaft. privat

Als neutraler Staat benötigt Österreich ein starkes Bundesheer zu Lande, in der Luft und im Cyberspace.


Was sich im Zuge der Regierungsbildung angekündigt hat, wurde nun Realität. Österreichs Sicherheitspolitik lebt ein weiteres Mal von oberflächlichen Argumenten. In kaum einem anderen staatlichen Feld wird derart mit "Feigenblättern" gearbeitet. Oft erscheint es, als würde das Volk gezielt in Unwissenheit belassen, um weiter Sicherheitspolitik zum Nulltarif betreiben zu können. Einer genaueren Betrachtung halten die Argumente jedoch nicht stand.

Die Neutralität Österreichs wird oft als der Hauptpunkt angeführt, warum ein Fähigkeitserhalt oder gar -aufbau im Österreichischen Bundesheer als Fehlinvestition erachtet wird. Umringt von Freunden und im Herzen des Friedensprojektes "EU" hält sich Österreich aus bewaffneten Konflikten. Aus diesem Grund sind dann Investitionen auch sinnlos.

Was hier jedoch sträflich außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass es für einen Aggressor irrelevant ist, welchen völkerrechtlichen Status das jeweilige Ziel hat oder an wen es grenzt. Österreich liegt im Herzen Europas. Diese Lage macht es zum wirtschaftlich starken, relevanten Knotenpunkt, dessen Neutralität logischerweise wehrhaft sein muss. Nicht umsonst besagt das Neutralitäts-Bunderverfassungsgesetz, diese mit "allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen". Alle zu Gebote stehenden, nicht die tagespolitisch opportunen Mittel.

Neutralität bedeutet, völkerrechtliche Verpflichtungen zu haben, welche man sich aus freien Stücken selbst aufgebürdet hat und die es in der Folge auch zu finanzieren gilt. Neutral impliziert nicht, dass man mehr Schutz vor Aggressoren hat als andere. Da erscheint eine Reduktion des Fähigkeitenspektrums auf sogenannte einsatzwahrscheinliche Aufgaben wie Cyberverteidigung und Katastrophenschutz nahezu zynisch. Beim Letztgenannten handelt es sich gar um eine Subsidiäraufgabe, welcher nachzukommen ist, wenn andere Dienstleister nicht mehr helfen können, nicht, wenn man sich diese nicht leisten will.

Cyberverteidigung, im Gegensatz dazu, kann mit Bestimmtheit dem heutzutage geforderten militärischen Kernfähigkeitsspektrum zugerechnet werden. Landesverteidigung endet jedoch nicht im Cyberspace. Der erst vor Kurzem für beendet erklärte Cyberangriff in Österreich hat wieder einmal untermauert, dass Akteure Interessen in und an Österreich haben.

Was nun, wenn der Angriff erfolgreich abgewehrt wird? Erlischt dann das Interesse? Wohl kaum. Es werden andere Mittel, etwa Unterstützung von Terrororganisationen bis hin zu konventionellen Streitkräften, eingesetzt werden, um die Ziele zu erreichen. Nur einsatzbereites Militär kann Abschreckung erzielen, welche letztlich einen Angriff unattraktiv macht.

Als neutraler Staat benötigt Österreich daher ein starkes Bundesheer zu Lande, in der Luft und im Cyberspace. Die Sicherheitspolitik der Feigenblätter lebt vom oberflächlichen Dialog zu tiefgreifenden Themen. Es wirkt, als werde der Bürger mit Absicht vom notwendigen Diskurs ausgeschlossen. Feigenblätter werden so zu Dogmen.