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Ist der Schwarze Schwan gelandet?

Von Nitesh Shah

Gastkommentare

Die Auswirkungen des Coronavirus auf die Finanzmärkte.


Der bekannte Zukunftsforscher und Essayist Nassim Taleb definierte in seinem Bestseller "Schwarze Schwäne" extrem unvorhersehbare Ereignisse, die massive Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft haben. Eines der Kernelemente sogenannter Schwarzer Schwäne besteht darin, dass diese Modelle ihre Existenz im Nachhinein erklären können. Im September 2019 wurde auf Ersuchen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ein Bericht erstellt, in dem es hieß: "Wenn die Aussage ‚Was vorbei ist, ist ein Prolog‘ stimmt, dann besteht die sehr reale Gefahr einer sich rasch entwickelnden, hochgradig lebensbedrohlichen Pandemie eines Atemwegserregers, die 50 bis 80 Millionen Menschen tötet und fast 5 Prozent der Weltwirtschaft auslöscht."

Der Bericht blieb zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weitgehend unbemerkt. Er liest sich genauso unheimlich wie einige der 2007 verfassten Stabilitätsberichte der Zentralbank, denen zufolge viele Risiken zwar richtig erkannt wurden, die Dringlichkeit von Abhilfemaßnahmen jedoch nicht festgestellt wurde.

Anlagen in sichere Häfenwie Gold sind gestiegen

Im Februar 2020 liest sich der UN-Bericht wie eine Prophezeiung. Zum Glück ist es noch nicht so schlimm. Aber da fast die Hälfte der Bevölkerung Chinas aufgrund des Coronavirus mit verschiedenen Instrumenten der Eindämmung konfrontiert ist und viele andere Teile der Welt gleichfalls betroffen sind (insbesondere Korea und Italien, wo die Fälle in einem Tempo zunehmen, das viele überrascht hat), ist die Nervosität auf den Märkten verständlicherweise extrem groß. Die Anlagen in sichere Häfen sind gestiegen: Gold (plus 7,9 Prozent seit Jahresbeginn), US-Dollar-Basket (plus 3,0 Prozent) oder US-Anleihen (Rendite von 1,91 Prozent).

Zyklische Assets dagegen geben nach: Öl (minus 13,9 Prozent YTD) oder Industriemetalle im Bloomberg Commodity Index (minus 8,9 Prozent). Die Aktienmärkte, die die Bedrohung durch das Coronavirus weitgehend ignoriert hatten (S&P 500: plus 5,1 Prozent seit Jahresbeginn bis 19. Februar), haben in den vergangenen vier Handelstagen alle bisherigen Gewinne des heurigen Jahres wieder abgegeben. Der Chicago Board Options Exchange Volatility Index ist von 14 vor einer Woche (18. Februar 2020) auf 25 (24. Februar 2020) hochgeschnellt.

Es ist schwierig, klare Daten darüber zu erhalten, wie stark die Nachfrage in China, dem Epizentrum der Epidemie, bereits zurückgegangen ist, da die Daten bereits durch das chinesische Neujahrsfest getrübt sind (ihre saisonale Anpassung ist schwierig). Aber wir wissen, dass ein starker Rückgang beim Flugverkehr, bei Straßenfahrten, bei der Fabriktätigkeit - die alle mit Hilfe von Satelliten und Wärmebildern anekdotisch überwacht werden können - die Nachfrage nach produktiven Gütern wahrscheinlich drücken wird.

In einer Pressemitteilung des Caixin China Manufacturing Purchasing Managers Index (PMI) vom 3. Februar wurde das Wort "Virus" nicht einmal erwähnt. Der PMI-Wert lag über der 50er-Grenze zwischen Expansion und Kontraktion. Es ist zu erwarten, dass die Pressemitteilung vom 3. März für Februar ganz anders lauten wird. Es wäre überraschend, wenn die Produktion unter den gegenwärtigen Umständen expandieren könnte.

Mögliche Gelegenheitenzur Schnäppchenjagd

Defensive Anlagen werden im Augenblick weiterhin gut funktionieren. Rückenwind könnte Gold in solche Portfolios einbringen, die diese Anlageklasse in der Vergangenheit weitgehend ignoriert haben. In der Zwischenzeit könnten zyklische Anlagen unter der Wolke einer Nachfrageskepsis um ihre Performance kämpfen. Allerdings könnten sich fantastische Gelegenheiten zur Schnäppchenjagd eröffnen, wenn die Ansteckung eingedämmt wird und schnell Impfstoffe entwickelt werden. Es gibt einige Rohstoffe, wie beispielsweise Öl, das wegen eines 60 Prozent der weltweiten Produktion kontrollierenden Kartells in naher Zukunft durch eine Produktionskürzung Schub erhalten könnte.