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Zwischen der Angst vor dem Islam und um den Islam

Von Abualwafa Mohammed

Gastkommentare
Abualwafa Mohammed ist ein promovierter Religionspädagoge, islamischer Theologe, Imam und interkultureller Experte. Er steht für einen zeitgemäßen und europäischen Islam (www.abualwafa.at).
© privat

Die Trennung zwischen Islam und den europäischen Werten ist eine Scheindichotomie.


Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber - nicht zuletzt auch für die Gesellschaft. Die Debatte um den Islam ist aber genau davon überschattet: auf einer Seite die Mehrheitsgesellschaft, die überwiegend Ängste vor dem Islam hat, und auf der anderen Seite Muslime, die Angst um den Islam haben.

Die Versuche, Ängste zu schüren, werden für politische oder ideologische Zwecke missbraucht und entwickeln sich sogar zu einer eigenen Ideologie. Die Debatte stellt ein gefährliches Spiel dar, dominiert von einem vermeintlichen "Kulturkampf" einerseits und emotionalen Muslimen in einer "Opferrolle" andererseits. Beide Lager verunmöglichen eine sachliche Auseinandersetzung mit den aktuellen Herausforderungen und wehren jede sachliche Diskussion mit ihren Kampfbegriffen, sei es "Islamisierung" oder "Islamophobie" ab.

Dadurch landen wir in einem Teufelskreis aus Angst, Reaktion, Gegenreaktion und Opferhaltung. Wir brauchen weder die Probleme auszublenden oder schönzureden noch mit dem Finger auf "die anderen" zu zeigen, sondern wir müssen mutig aufeinander zu zugehen. Damit ist aber kein "Multi-Kulti-Kuschelkurs" oder eine "Unterwerfung vor dem Islam" gemeint, sondern es geht vielmehr darum, eine sachliche Debatte zu führen, Probleme anzusprechen und sie in ihren Maßen zu behandeln. Die Mehrheit der Muslime interessiert sich nicht für diese Kämpfe und führt ein normales Leben.

Meine Vision für ein besseres Miteinander und ein zeitgemäßes Islamverständnis: Der Kern des Islam ist die rein individuelle Beziehung zu Gott, Hoffnung zu geben sowie Barmherzigkeit und Liebe zu verinnerlichen beziehungsweise zu stiften. Die Trennung zwischen Islam und den europäischen Werten ist für mich eine Scheindichotomie. Einzelne Personen und Gruppierungen sowie Extremisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Religion zu "beschützen", zu "retten" oder zu "verteidigen", hauptsächlich um Macht zu erhalten oder Autorität zu auszuüben. Dabei braucht keine Religion einen Anwalt, und wir sollten den Islam aus diesem Machtspiel herausnehmen. Angst um den Islam braucht keiner zu haben, vielmehr geht es darum, den Islam als spirituelle und moralische Kraft zu (er)leben. Die Ängste unserer Mitmenschen, die größtenteils nachvollziehbar sind, sollten ernster genommen werden.

Würde der Prophet Muhammad heute gefragt werden, was seine Hauptbotschaft ist, würde er wohl sagen: "Ich wurde gesandt, um die edlen Tugenden zu bestätigen." Würde man ihn darum bitten, die Religion zu definieren, würde er wohl antworten: "Der gute Umgang mit den Mitmenschen." Wer an diesen Aussagen zweifelt, findet den Auftrag Muhammads im Koran, Sure 21, 107: "Und Wir sandten dich nur als Barmherzigkeit für die Weltbewohner."

Wir alle sind aufgefordert, die österreichische Schiene einzuschlagen, wie es Bundespräsident Alexander Van der Bellen so schön formuliert hat: "Wenn wir uns einer unserer österreichischen Grundtugenden besinnen, uns an einen Tisch setzen und sagen: Red’ ma uns des aus."