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Die Frage nach dem Feind

Von Matthias Wasinger

Gastkommentare
Matthias Wasinger ist Offizier beim Österreichischen Bundesheer. Der Rechtswissenschaftler beschäftigt sich im Rahmen zahlreicher deutsch- und englischsprachiger Publikationen mit Themen der nationalen wie internationalen Sicherheitspolitik, Strategie und Militärwissenschaft. privat

Kriege beginnen heute unterschwellig, sie werden nicht mehr erklärt.


In Diskussionen um die Notwendigkeit einer adäquaten Umsetzung der militärischen Landesverteidigung wird in der Regel jedweder Diskurs mit der Frage nach dem konkreten Aggressor ad absurdum geführt. Die Frage an und für sich erscheint legitim, sucht jedoch nach einer einfachen Antwort auf eine komplexe Problematik.

Die Erwartung, dass ein Staat oder eine Organisation genannt wird, kann im 21. Jahrhundert in der Regel nicht befriedigt werden. Krieg ist geächtet, aber omnipräsent. Die Vernetzung zwischen Nationen sowie internationalen Akteuren ermöglicht es, im Vorfeld einer bewaffneten Auseinandersetzung vor allem im Informations- oder im Cyber-Spektrum das Gegenüber zu beeinflussen. Kriege beginnen heute unterschwellig, sie werden nicht mehr erklärt. Konkrete Feinde können somit in den seltensten Fällen präsentiert werden.

Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass die USA eine Terrorbedrohung vor 9/11 zwar als existent, aber nicht als dominant beurteilten. Ein Terrorangriff auf dem Hoheitsgebiet der USA selbst wurde gar völlig ausgeschlossen. Auch die Ukraine hatte einen militärischen Einmarsch Russlands als unwahrscheinlich beurteilt. Dementsprechend waren vor allem die ukrainischen Streitkräfte, stark unterfinanziert, im März 2014 völlig unvorbereitet. In Syrien war noch Anfang 2011 eine direkte Konfrontation mit der Türkei undenkbar, die beiden Staaten waren befreundet. Innerhalb weniger Wochen änderte sich dies. Heute stehen tausende türkische Soldaten ohne UN-Mandat auf syrischem Hoheitsgebiet. Es war ebenso völlig undenkbar, dass einander auf demselben Kriegsschauplatz verbündete Nato-Staat auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen würden.

Was all diese Beispiele gemeinsam haben? Im Nachhinein sollen diese Vorfälle antizipierbar und logisch ableitbar gewesen sein. Indikatoren gab es jedenfalls, sie wurden von der breiten Masse jedoch als Verschwörungstheorien abgetan. All dies hilft jedoch nicht bei der Beantwortung der Frage nach dem nächsten Aggressor. In den angeführten Beispielen haben Akteure die Hemmschwelle zum bewaffneten Konflikt durch Streitkräfte oder militärische Organisationen überschritten. Vor diesen kommt es in der Regel jedoch zu verdeckten, unterschwelligen Handlungen wie beispielsweise den Cyber-Attacken, wie sie in Estland, Finnland, Deutschland oder auch Österreich durchgeführt wurden.

Wer kann nun der Feind sein? Im Grunde jeder Akteur, der seine vitalen Interessen durchsetzen will und diese auf herkömmlichem Wege nicht erreichen kann. Interessanterweise hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 2004 festgehalten, dass es zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Einsatzbereitschaft des Österreichischen Bundesheeres keinerlei konkreter Bedrohung bedarf. In Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ist das Bild eigentlich klar. Das Bundesheer muss zu Lande, in der Luft und im Cyber-Raum permanent zur militärischen Landesverteidigung bereit stehen. Die Einsatzbereitschaft nämlich nach einer derart komplexen Frage auszurichten, ist nicht zielführend.