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Politische Religion

Von Ulrich Körtner

Gastkommentare

Christentum und Islam im gesellschaftlichen Spannungsfeld.


Die Trennung von Kirche und Staat, Religionsfreiheit und die weltanschauliche Neutralität des säkularen Rechtsstaates sind eine Frucht der neuzeitlichen Geschichte Europas und Nordamerikas. Das "Heilige Römische Reich" gehört ebenso der Vergangenheit wie die "allerchristlichsten", "katholischen" oder "apostolischen" Majestäten an der Spitze europäischer Kaiser- und Königreiche. Das heutige Österreich ist eine demokratische Republik, deren Recht vom Volk ausgeht - und nicht von Gott, wie im Ständestaat von 1934 bis 1938.

Die heutige Stellung der Kirchen und der übrigen Religionsgemeinschaften beschreibt die Formel von der "freien Kirche im freien Staat", die auf den Juristen und ÖVP-Politiker Heinrich Drimmel zurückgeht. Er hat sie von Camillo Benso von Cavour, einem Vertreter des italienischen Liberalismus im 19. Jahrhundert, übernommen. Drimmel, der von 1954 bis 1964 Unterrichtsminister war und einen konservativen Katholizismus vertrat, gilt als Vater des Protestantengesetzes von 1961, das für die Gleichstellung der evangelischen Kirchen mit der römisch-katholischen Kirche sorgte. Ein Jahr später ermöglichte er den Abschluss des Konkordats mit dem Heilen Stuhl.

Heute gibt es in manchen Ländern wohl noch christliche Parteien wie die CDU in Deutschland oder die CVP in der Schweiz, aber praktisch keine christlichen Staaten mehr - mit Ausnahme von Griechenland, Liechtenstein und dem Vatikanstaat, der nun allerdings keine moderne Demokratie, sondern als absolutistische Wahlmonarchie ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist. In elf Ländern ist eine der christlichen Konfessionen noch Staatsreligion, dies allerdings weithin nur noch mit symbolischer Bedeutung. Ganz anders liegen die Verhältnisse in der islamischen Welt, in welcher der Islam als Staatsreligion keineswegs nur symbolische Bedeutung hat und von Religionsfreiheit oftmals keine Rede sein kann. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) mit Sitz in Dschidda (Saudi-Arabien) zählt 56 Mitgliedstaaten, von denen einige das Attribut "islamisch" im Staatsnamen tragen: Islamische Republik Iran, Islamische Republik Afghanistan, Islamische Republik Mauretanien, Islamische Republik Pakistan. Seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 hat sich ein fundamentalistischer Islam ausgebreitet, und zwar sowohl in schiitischen wie in den sunnitisch geprägten Ländern. Auch der seit Kemal Atakürk offiziell säkulare Staat Türkei erlebt unter dem Islamisten Recep Tayyip Erdogan eine massive Re-Islamisierung. Staaten wie Saudi-Arabien und der Iran exportieren ihre fundamentalistische Auffassung des Islam, die als politische Ideologie Marxismus und Panarabismus abgelöst hat.

Ein Relikt der 1968er

Es ist gut, wenn namhafte christliche Theologen, Theologinnen und Kirchenvertreter gegen jede Diskriminierung von Muslimen auftreten und für das uneingeschränkte Recht auf Religionsfreiheit eintreten. In der gegenwärtigen Debatte über die Religionspolitik der neuen Bundesregierung irritieren jedoch Wortmeldungen von christlicher Seite, die schon den Begriff des politischen Islam für denunziatorisch halten und sich letztlich mit den konservativen, fundamentalistischen und reaktionären Kräften innerhalb des Islam solidarisieren, statt die Zusammenarbeit vornehmlich mit jenen Musliminnen und Muslimen zu suchen, die für einen reformorientierten, liberalen Islam eintreten und dabei vor muslimisch motivierter Islam-Kritik nicht zurückscheuen.

An dieser Stelle zeigt sich die Fragwürdigkeit einer bestimmten Spielart von politischem Christentum, das ein Relikt der 1968er ist. Seinerzeit entstand die Idee einer neuen politischen Theologie, die den Anschluss an den Marxismus in seinen unterschiedlichen Spielarten suchte. Und wie damals über die mögliche Synthese zwischen Christentum und "wahrem" Marxismus debattiert wurde, der angeblich nichts mit dem totalitären Stalinismus, den Killing Fields des Steinzeitkommunismus in Kambodscha und den Millionen Opfern der chinesischen Kulturrevolution zu tun hatte, so versucht man heute den "wahren" Islam von seinen negativen Auswüchsen abzugrenzen, zu denen die massive Verletzung von Menschenrechten zählt.

Dass sich nicht nur die katholische Amtskirche, sondern auch ein Links-Protestantismus und ein vergleichbarer Katholizismus mit einem reaktionären Islam solidarisieren, hängt zum einen mit der Verbreitung postkolonialistischer Theorien in diesen Kreisen zusammen, zum anderen aber auch mit dem eigenen Verständnis des Christentums als politischer Ideologie. Um die eigene Sicht von politischer Religion zu verteidigen, macht man sich für andere Spielarten von politischer Religion stark, mit denen man im selben Boot zu sitzen glaubt. Zwar ist es richtig, dass das Evangelium von Jesus Christus eine politische Dimension hat. Das zeigen die Predigt Jesu vom Reich Gottes und die Bitte des Vaterunser um das Kommen der Gottesherrschaft. Aber das Evangelium ist kein politisches Programm und kein Grundgesetz für den weltlichen Staat. Um politisch zu sein, muss Religion zuerst einmal Religion sein, wie der deutsche Politiker und Protestant Wolfgang Schäuble richtig festgestellt hat. Um Kirche für andere zu sein, muss Kirche zuerst einmal Kirche sein. Das ist in der Geschichte des Christentums nicht immer beherzigt worden, weshalb die kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte und eine innerchristliche Religionskritik ebenso notwendig sind wie Kritik an einem politischen Islam und seinen negativen Auswirkungen innerhalb wie außerhalb der islamischen Welt.

Wehrhafte Demokratie

Für das Christentum denke ich dabei nicht nur an die unselige Verbindung von Thron und Altar, an Religionskriege, Verfolgungen und Vertreibungen im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation, sondern auch an die Schattenseiten der engen Verbindung von Kirche und Politik im Calvinismus, etwa in Genf zur Zeit Calvins. Dieser propagierte zwar keine Theokratie im Sinne einer politischen Herrschaft durch Geistliche wie heute im Iran. Aber ihm schwebte eine Pneumatokratie durch eine aristokratische Elite vor, die sich wie die alttestamentlichen Könige und Propheten vom Geist Gottes leiten lassen sollten. Von einem modernen Staatsverständnis ist diese Idee weit entfernt.

Man mag an der Religionspolitik der vorletzten wie der jetzigen Bundesregierung manches kritisieren. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam und einem islamisch motivierten Extremismus gehört aber genauso zu den Aufgaben einer wehrhaften Demokratie wie der Kampf gegen Rechtspopulismus und -extremismus, Neue Rechte und Identitäre, die sich als Verteidiger des christlichen Abendlandes aufspielen.

Dass die vorletzte Regierung den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag gestrichen hat, ist ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Rechte der evangelischen Kirchen und der altkatholischen Kirche. Ob ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre, wie es die türkis-grüne Regierung anstrebt, integrationsfördernd oder integrationshinderlich ist, wird keineswegs nur in Österreich kontrovers diskutiert. Es geht aber am Problem vorbei, wenn im einen wie im anderen Fall der Regierung pauschal Religionsfeindlichkeit unterstellt wird. Wer wissen will, was ein religionsfeindlicher Staat ist, sollte nach Nordkorea oder China schauen.