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Ist es Zeit für einen Klimawandel?

Von Christian Vranek

Gastkommentare

Was Österreich auszeichnet - nämlich Natur und Hochkultur -, sollte auch zukünftigen Generationen noch zugutekommen.


Vergnügt schwimmen Julia und Nadine an einem hochsommerlichen Julitag im Altausseer See im steirischen Salzkammergut. Die Eltern erzählen uns, wie sie mit der Bahn aus der Schweiz angereist sind, um hier ihre Sommerferien zu verbringen. Angenehm fühlt sich das Wasser für die Kinder an. In manchen Jahren ist der See mittlerweile zu warm für die Fische, welche wie die Menschen, wenn sie die Lebensumstände bedrohen, fliehen müssen - in diesem Falle können sie sich in tiefere Regionen des Sees retten. Ein ganz besonderer Ort der Region ist die Seewiese und eindrucksvoll von dort der Blick in Richtung Dachstein. Einst schon ein beliebtes Motiv für Landschaftsmaler, heute als Unesco-Welterbe Teil der Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut für Fotografen und Touristen.

Doch wer diesen Ausblick kennt, bemerkt, wie der einst strahlend weiße Gletscher über die Jahre zunehmend an Substanz verliert. Auch wenn das Klima immer im Wandel war, bereiten Wetterextreme, die Bewusstheit des aktuellen Umgangs der Menschen mit der Welt und deren Ressourcen Sorge, diese Landschaft für nächste Generationen nicht bewahren zu können. Im Zusammenhang mit der voranschreitenden Klimaerwärmung denkt man auch daran, wie kurzsichtig es war, nicht gerade umweltfreundliche Technologien von Europa aus in die Welt zu verkaufen.

Eine Haltung,die uns auf den Kopf fällt

Was den aktuellen Klimawandel betrifft, fällt uns diese Haltung heute im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf. Ein Resultat auch einer auf ewiges Wachstum und Ausbeutung der Ressourcen ausgerichteten Ökonomie. Doch wer meint, diese Einstellung gerate trotz der eindringlichen Warnung vieler Experten in Erklärungsnotstand, irrt, und wer meint, sie beschränke sich auf Führungskräfte der Wirtschaft, irrt doppelt.

Gier, Neid und Habsucht nach Verdienst und Besitz und der damit verbundenen globalen Anerkennung treiben Menschen im Wettbewerb, basierend auf einer Welt, die sich über Zahlen definiert, hurtig an. Es etabliert sich kulturelle Armut. Alles, was nicht nach maximalem Gewinn strebt, alles, was kein Geschäft ist, alles, was nicht nützt, findet in dieser Welt kaum Beachtung. Für das Sparen bei den Gehältern der Mitarbeiter belohnt man sich selbst.

Was das auch für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt bedeutet, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. "Du" oder "Wir" existieren in dieser Welt, wenn, dann nur zum eigenen Vorteil, die Freundschaft wird durch die Nutzschaft ersetzt und wird so lange gelebt, solange sie eben nützt - befreit von Ethik und Moral.

Geistige, humane,kulturelle Erosion

So verarmt und verroht nicht nur eine Gesellschaft menschlich und emotional, sondern eine einst geistig reiche, humane, kulturelle Welt erodiert. Das äußere Erscheinungsbild wird zum Fetisch, die Verpackung wird wichtiger als der Inhalt und blendet vor der kulturellen Armut. Kunst fungiert in dieser Welt als Lifestyle-Produkt. Der Mensch als Mensch, Menschlichkeit, Empfindsamkeit und damit verbundene geistige und menschliche Werte bleiben in diesem Weltbild weitgehend auf der Strecke und werden vor allem im stetig wachsenden Charity-Bereich, wo man sehen kann, wie groß die Not in vielen Teilen der Gesellschaft schon geworden ist, professionell zelebriert - kulturelle Armut vom Feinsten.

Und es darf nicht verwundern, wenn in so einer Kultur auch volkswirtschaftliches Denken unter die Räder kommt. Auch den sogenannten Kulturbetrieb dominieren Zahlen. Sie werden auch hier als Bewertungskriterium mangels künstlerischer Kompetenzen herangezogen und erzeugen Druck. Auslastungszahlen werden gefordert, erlangen immer mehr Priorität, und so wird oft Populäres geliefert - Kunst verkommt so zum Entertainment.

Das damit einer Gesellschaft einerseits viel Freiraum für Gestaltung, Kreativität, kritische Positionen, aber auch ein Bildungsanspruch, der sich nicht nur am Populären orientiert, verloren geht, der an sich ganz wesentliche Stärken von Kunst ausmacht und zum Immunsystem einer demokratischen Gesellschaft gehört, ebenso wie die freie Wissenschaft oder unabhängige Medien, versteht sich.

Damit hat sich aber auch in vielen Bereichen ein langfristiges Denken aufgehört, denn es geht um Quick-Wins. Ob einem eine Sache dient oder ob man einer Sache dient, macht eben einen gewaltigen Unterschied aus. Langfristiges Denken ist aber gerade, was die Bereiche Kultur, Erziehung, Bildung, Wissenschaft, Natur- und Klimaschutz, soziale Belange, Vermögensanlage, Digitalisierung, Pflege, Altersvorsorge etc. betrifft, essenziell. Und so entsteht ein Klima, in dem Menschen andere Menschen und die Natur ausbeuten und immer mehr Menschen - ja, vielleicht die Menschheit selbst - ins Burnout geraten.

Wenn Führungskräfte, in den Begriffsbestsellerlisten der Suchmaschinen händeringend nach Ideen und Inhalten suchend, ihre Programme und Reden kreieren, Start-ups von Konzernen zur Frischzellenkur eingeladen werden, um neue Ideen zu liefern, und Vorstandsdirektoren mehrfach bestätigen, dass es nur um Zahlen geht, dann kann man erahnen, wie viel es geschlagen hat. Die inhaltliche Leere verstört. Die Maxime lautet: Nicht der Große hilft dem Kleinen, sondern umgekehrt.

Zeit für ein bewussteresund achtsameres Leben

Die massive Zunahme psychischer Erkrankungen ist hierfür ein weiteres Indiz, wie sich Gesellschaft zersetzt, immer mehr Menschen seelisch unter die Räder kommen. Das ist im Zeitalter der voranschreitenden Digitalisierung samt künstlicher Intelligenz für den Menschen als Menschen gefährlich, denn wen es keinen kulturellen Wandel im Sinne des Menschseins gibt, stehen wir nicht nur an der Schwelle der Demokratie zur Technokratie!

Zurück nach Altaussee, wo man zur Kulturhauptstadtregion 2024 gehört. Richard Strauss und Hugo von Hofmannstal, die auch wesentlich zur Etablierung der Salzburger Festspiele beigetragen haben, waren hier einst zur Sommerfrische. In ihrem gesellschaftskritischen Meisterwerk "Der Rosenkavalier" singt die gerissene Marschallin so dahin: "Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts . . ." Es ist also Zeit für ein bewussteres und achtsameres Leben. Und die Klima- und Gesundheitskapriolen motivieren gegenwertig eindringlich, wie wichtig es ist, in einer globalisierten Welt humane und ökologische Werte zu etablieren.

Es ist also höchste Zeit, wieder mehr das große Ganze und die Ansprüche und Herausforderungen gemeinsam zu denken und nicht nur an den eigenen Vorteil. Es ist Zeit für einen großen kulturellen Wandel, der sich in der Art, in der Bewusstheit, in einer Haltung und in einer massiven Aufwertung und Anerkennung wertschätzend, empfindsam und empathisch mit Mensch und Natur umzugehen und sich durch gegenseitiges Wohlwollen, Respekt, Kooperation und der damit einhergehenden Lebensfreude auszeichnet, definiert und jungen Generationen global eine Perspektive gibt. Aufgerufen hat dazu unter anderen schon Ludwig van Beethoven in seiner Neunten Symphonie, deren Finalsatz heute als Europahymne dient. Darauf und auf die damit verbunden Werte dürfen sich Europa und die Welt durchaus besinnen.

Sollte es uns gelingen, nachahmenswerte Modelle für die Gestaltung unserer Zukunft zu entwickeln, welche Ökonomie, Technologie, Humanität und Ökologie integrieren und diese global zu etablieren, besteht vielleicht die Hoffnung, dass das, was Österreich heute für viele Menschen so auszeichnet, nämlich mit Natur in Hochkultur zu leben, auch zukünftigen Generationen noch zugutekommt - daran sollten wir arbeiten, durchaus im eigenen Interesse.