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Mit den Sozialpartnern gegen den Neoliberalismus

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Die bereits völlig besiegt geglaubte Finanzpolitik des Briten John Maynard Keynes ist in Zeiten der Corona-Krise dabei, von den Toten wieder aufzuerstehen.


Österreich ist nach wie vor ein Land der sozialen Marktwirtschaft. Daran konnte selbst die EU mit ihrer neoliberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik wenig ändern. Wie zur Bestätigung: Die durch die Folgen des Coronavirus ausgelösten Aktivitäten gegen die schwerste Krise seit langem haben - zumindest vorläufig - die These widerlegt, der Staat könne nur funktionieren, wenn er wie ein großes Unternehmen begriffen und geführt werde.

Die österreichische Bundesregierung hat entgegen dem türkisen Selbstverständnis beschlossen, 38 Milliarden Euro für die Unterstützung der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen und dadurch das anvisierte Nulldefizit für 2020 in ein Minus zu drehen. Gleichzeitig werden die Maastricht-Grenzen für Neuverschuldungen überschritten. Damit ist die von Friedrich A. Hayek entworfene, vom Chicagoer Ökonomen Milton Friedman und anderen umgesetzte Wirtschaftstheorie zumindest in Österreich schwer erschüttert. Andere Länder wie Italien und Spanien werden folgen (müssen), um die sozialpolitischen Belastungen gering zu halten. Die bereits völlig besiegt geglaubte Finanzpolitik des Briten John Maynard Keynes ist dabei, von den Toten wieder aufzuerstehen.

Keynes’ zentrale These bestand darin, durch finanzielle Staatshilfen bereits früh die Unternehmen zu stärken, die Produktion zu halten und die Arbeitnehmer bezahlen zu können. Die anschließende Erholung würde die Steuereinnahmen wieder fließen lassen. Die EU hat stets den anderen Weg gewählt und im Falle Griechenlands einen Mitgliedstaat fast kaputtgespart. Das Land hat sich bis heute noch nicht davon erholt. Portugal, das ebenfalls unter EU-Kuratel gestellt wurde, folgte ab 2015 unter sozialdemokratischer Führung den Vorgaben aus Brüssel nicht mehr. Im Gegenteil: Die Mindestlöhne wurden erhöht, Gekündigte wieder eingestellt, die Mehrwertsteuer in konsumträchtigen Branchen gesenkt. Das Resultat ist positiv.

Die neu aufgestellte Allianz ist kein neoliberales Instrument

Man kann selbst gleich große Länder nicht direkt vergleichen, aber es geht um den Systemeinsatz bei der Krisenlösung. Und die Wahl der Mittel wiederum hängt von den politischen Strukturen und von den Relationen zwischen Arm und Reich ab. Griechenland hatte (und hat noch) viele Schwerreiche, die kein Gefühl für Solidarität mit den Armen haben, es gibt dort keine ausgeprägten Sozialinstitutionen, die ähnlich den österreichischen Kammern in die politischen Entscheidungen eingebunden wären. Vieles aber ist ähnlich.

Die um die Jahrtausendwende auch wegen eigener Überheblichkeit und Geldgier angreifbar gewordene Sozialpartnerschaft auszuhebeln, war eines der Ziele der ÖVP/FPÖ-Regierungen. Unter Christoph Leitl als Wirtschaftskammer-Präsident hat sich vieles gebessert. Und auf SPÖ-Seite sind Arbeiterkammer und ÖGB unter Fraueneinfluss bescheidener und zugleich effizienter geworden. Mit Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer jedoch wäre es auch jetzt nicht gelungen, eine Allianz mit ÖGB und Wirtschaftsbund zu schmieden. Nur mit diesem öffentlich demonstrierten Schulterschluss ist eine nationale Kraftanstrengung Wirklichkeit geworden.

Diese neu aufgestellte Allianz aber ist kein neoliberales Instrument, sondern steht in der Tradition eines in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen sozialstaatlichen Instruments: der Sozialpartnerschaft. Diese wird seit vielen Jahren teils scharf kritisiert, weil sie eine "Nebenregierung" sei. Vor allem die Verfechter des Neoliberalismus wollen sie schon lange abschaffen und die Festlegung der Löhne und Gehälter völlig den Unternehmen überlassen. Österreich hat das im Rahmen eines "historischen Kompromisses" zwischen Christ- und Sozialdemokraten anders geregelt und damit eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Mit der Corona-Krise hat Wolfgang Schüssel, vom Christdemokraten zum Neoliberalen mutierter Ex-Kanzler, als Berater von Kanzler Sebastian Kurz einen Rückschlag erlitten. Die Grünen, früher einmal der Gottseibeiuns der österreichischen Politik, sind zunächst einmal an die staatstragende Stelle der Sozialdemokraten gerückt.

Großbritannien nimmt den Zuwachs der Ungleichheit hin

Großbritannien hingegen hält - im Gegensatz zu den meisten EU-Staaten - am Neoliberalismus der Ära von Margaret Thatcher fest. Das Vereinigte Königreich schließt sich zwar halbherzig den Grenzkontrollen an, zieht aber keine wirtschaftlichen Konsequenzen. Die Unternehmen sollen selbst aus der Krise finden. Damit wird der Zuwachs an Ungleichheit hingenommen, der "schlanke Staat" greift ökonomisch nicht ein, Sozialmaßnahmen soll es nur im letzten Moment zugunsten der ganz Armen geben. Alle anderen sollen sich selbst aus dem Schlamassel ziehen. Das ist ökonomischer Sozialdarwinismus, seit dem EU-Austritt noch ausgeprägter.

Zwischen der österreichischen Variante der Krisenbewältigung und der britischen Methode tun sich Welten auf. Dazwischen gibt es eine Reihe verschiedener Zugänge. Besonders auffällig war das Zögern der deutschen CDU/SPD-Koalition und vor allem der Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Durchgriffsmöglichkeiten darunter leiden, dass sie zwar außenpolitisch stark sein kann, gesundheitspolitisch aber wegen der Zuständigkeit der Bundesländer eine lahme Ente ist. Deshalb lässt sich derzeit auch noch keine wirtschaftspolitische Ausrichtung der Krisenlösungen in der stärksten europäischen Volkswirtschaft erkennen.

In Nordeuropa sind die Schwierigkeiten geringer

Die Italiener wiederum haben mit der massiven Schwäche ihres Gesundheitssystems (insbesondere in Süditalien) zu kämpfen. Dazu kommt die geringere Disziplin des Personals - Griechenland, Spanien und Portugal haben ebenfalls riesige Probleme bei der Bekämpfung der Corona-Krise. In Nordeuropa, vor allem in Schweden, sind die Schwierigkeiten wegen der protestantischen Arbeitsmoral geringer. Alles in allem werden die Maastricht-Kriterien wohl in der Mehrheit der EU-Staaten nicht eingehalten und aus diesem Grund wegen gewaltiger staatlicher Finanzspritzen zu einer Wiederbelebung der keynesianischen Ökonomie-Thesen führen.

Die Regierung in Wien hat bei der Bekämpfung der Pandemie Mut, Augenmaß und Autorität bewiesen. Welche Linie sie in der Post-Corona-Zeit einschlägt, wird noch zu heftigen Debatten führen. Denn jenes Geld, das sie für ihre ehrgeizigen Umweltmaßnahmen einsetzen wollte, fließt jetzt in die Gesundheit der Österreicher. Steuersenkungen wird man sich wohl vor 2022 nicht erlauben können. Und die massenhafte Kurzarbeit, eine plötzlich Realität gewordene Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, wird noch lange auf den Sohlen der Arbeiterinnen und Arbeiter kleben bleiben. Die Grünen werden es schwer haben, die von ihnen in das Regierungsprogramm geschriebenen und von Türkis akzeptierten Klimaziele wirklich durchzusetzen. Für Kurz & Co werden die Wünsche der Unternehmen Vorrang haben.