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Rettung auf Kosten der Freiheit?

Von Stefan Haderer

Gastkommentare

Was wird der Preis sein, den die globale Gemeinschaft für das Bezwingen der Corona-Krise am Ende zahlen muss?


Die gesundheitlichen Risiken der Corona-Pandemie dürfen nicht verharmlost werden. Die Krise wirft allerdings wesentliche Fragen auf, die am Beginn eines neuen Jahrzehnts die Freiheit in unserer Weltgemeinschaft betreffen könnten.

Fast ist es für Europa ein arithmetisches Muster geworden: alle paar Jahre im Krisenmodus. Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, die Revolten in Arabien 2011 samt ihren Nachwirkungen, zu denen auch und vor allem die Flüchtlingskrise 2015 gehörte. Jetzt, im Jahr 2020, stellt die Corona-Pandemie Gesellschaft und Wirtschaft vor ungeahnte Herausforderungen mit unsicherem Ausgang. Wird der Preis für die Bewältigung der Krise ein Stück unserer Freiheit sein?

Zu einem gewissen Grad ja. Besonders offensichtlich war diese beunruhigende Entwicklung nach 9/11, als die USA den "Krieg gegen den Terror" ausriefen. Die nationale und globale Überwachung nahm zu, Staatsbürger und Reisende sehen sich seither erheblichen Freiheitsbeschränkungen ausgesetzt, die noch heute mit den Anschlägen in New York und Washington gerechtfertigt werden: rigorose Screenings auf Flughäfen, Befragungen, Fingerabdrücke, Augen-Iris-Scans etc. Und das nicht nur in den USA, sondern fast weltweit - alles unter Berufung auf Anti-Terror-Maßnahmen, alles gesetzlich gut abgesegnet. Terroranschläge in den USA sind tatsächlich seltener geworden, während Europa aufgrund der geografischen Lage von Anschlägen in mehreren EU-Staaten heimgesucht wurde. Experten stellen die Wirksamkeit vieler Maßnahmen in Frage.

Ein neues Reisennach Corona?

Die Welt sieht sich derzeit einer Epidemie ausgesetzt, die viel Leid und Angst verursacht und sich über den Globus verbreitet. Aufgrund der gesundheitlichen Risiken hat die Maschinerie in Europa auf Notfallmodus geschaltet: Grenzen werden geschlossen, das gesellschaftliche Leben steht wochenlang still, die Reisefreiheit ist quasi aufgehoben. Wie lange wird die Weltwirtschaft das noch durchstehen? Und wie lange werden die Menschen diesen Krisenmodus in Isolation noch verständnisvoll hinnehmen?

Natürlich gibt es auch positive Nebenwirkungen: Die Emissionen in China sind etwa zurückgegangen, die Luft ist reiner geworden. Der Massentourismus ist durch den Zusammenbruch des Flugverkehrs völlig zum Erliegen gekommen, die Natur kann sich wieder erholen. Man setzt wie in der Nachkriegszeit auf Solidarität und Zusammenhalt in der Not. Doch was wird der Preis sein, den die globale Gemeinschaft für das Bezwingen der Krise am Ende zahlen muss?

Eine neue Art des Reisens könnte die Regel werden: Strenge Staaten wie Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate und die USA greifen bereits auf gesundheitliche Vorschriften zurück, was die Einfuhr von Medikamenten bei Touristen betrifft. Ein Pandemiegesetz würde die Weitergabe medizinischer Daten von Reisenden zwischen Staaten rechtfertigen und Einreisebeschränkungen legitimieren. Denn schließlich kann das Coronavirus auch dann noch weiterbestehen, wenn Medikamente und Impfstoffe längst auf dem Markt sind.

Auswirkungenauf die Demokratie

In den Medien wurde bekannt, dass China die Überwachung seiner Staatsbürger nach Ausbruch der Epidemie weiter vorantreibt. Registriert wird zum Beispiel, wer wann wie lange eine U-Bahn benutzt. Auch der Westen besitzt technische Möglichkeiten für diese Art der Überwachung. Gesetzliche Freiheitsbeschränkungen, die derzeit von den Regierungen mit Verweis auf die Corona-Krise in Kraft gesetzt werden, könnten auf unbestimmte Zeit verlängert werden - wiederum mit Verweis darauf, dass das Coronavirus nicht beseitigt, sondern lediglich eingedämmt wurde. Scheinen viele dieser Maßnahmen wie das Vermeiden von Körperkontakt im Augenblick gerechtfertigt und logisch, so würde ein Verbot von Versammlungen, das nach der Krise weiterbestünde, demokratische Grund- und Freiheitsrechte gefährden. Jede Regierung sollte sich das vor Augen halten, um hoffentlich den sozialen Frieden auch nach der Krise für künftige Generationen zu sichern.