Zum Hauptinhalt springen

Nach 25 Jahren immer noch nicht angekommen

Von Anton Pelinka

Gastkommentare
Anton Pelinka war von 1975 bis 2006 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und von 2006 bis 2018 Professor of Nationalism Studies and Political Science an der Central European University Budapest.
© pivat

Dem Bekenntnis zu "Kerneuropa" folgten in Österreich bisher nur teilweise Taten.


Österreich präsentiert sich heute als laues EU-Mitglied, das sich hütet, die Vertiefung der Union aktiv voranzutreiben. Die Bekenntnisse, unbedingt Teil "Kerneuropas" sein zu wollen, reiben sich mit einer Politik europapolitischen Bremsens. Man kann nicht ohne Glaubwürdigkeitsverlust für eine verbesserte Sicherung der EU-Außengrenzen eintreten und gleichzeitig die dann notwendigen Konsequenzen verweigern, etwa die Aufbringung der erforderlichen Mittel durch eine Ausweitung des EU-Budgets. In der Corona-Krise agiert Österreichs Regierung mit Schuldzuweisungen an "die EU" - als würde eben diese Regierung nicht im Europäischen Rat mit verhindern, dass die Union Instrumente nutzen kann (etwa in Form von Corona-Bonds), durch deren Einsatz die ökonomischen Folgen dieser Krise gemindert werden könnten.

Ähnliches gilt für den Umgang mit den Regeln des Europäischen Binnenmarktes. Dessen Logik bedeutet, dass die Bürgerinnen und Bürger aller EU-Staaten in der gesamten Union Anspruch auf denselben Rechtsstatus haben wie jene des Landes, in dem sie leben und arbeiten. Die türkis-blaue Bundesregierung hat diese Rechte abzubauen versucht und ist damit auf den Widerstand der EU-Kommission gestoßen. Dieser Versuch zeigte den Mangel an Verständnis für eine Union, die eben nicht bloß ein loser Staatenbund ist. Die EU ist ein unvollendeter Bundesstaat, dessen Mitglieder aus freien Stücken in manchen Bereichen auf Souveränitätsrechte verzichtet haben. Österreichs Regierungen haben immer unterstrichen, dass das Land unbedingt zu "Kerneuropa" gehören soll, zum innersten Kreis der Union. Diesem Bekenntnis sind aber nur teilweise Taten gefolgt. Österreich hat Ja gesagt zur Wirtschafts- und Währungsunion, aber nicht zu einer vertieften Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Als Frankreichs Präsident Emanuel Macron eine Europa-Armee zur Diskussion stellte - und damit den in der französischen Nationalversammlung 1954 gescheiterten Pleven-Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wieder aufgriff -, meinte Österreichs Verteidigungsminister: Das wäre ganz interessant, aber nicht für Österreich, denn das Land sei ja neutral.

Österreich hat sich bequem im Europa der Union eingerichtet. Wir profitieren vom Binnenmarkt, finden aber nichts dabei, wenn die sozialen Rechte slowakischer Altenpflegerinnen in Österreich reduziert werden sollen. Wir fürchten eine neue Fluchtwelle, aber wir diskutieren nicht ernsthaft, welche Belastung es für die Staaten an der EU-Außengrenze bedeutet, dass es keine gemeinsame europäische Migrationspolitik gibt, die für eine gemeinsame Kontrolle dieser Außengrenzen sorgen würde. Wir lassen Griechenland und Italien allein und akzeptieren, dass Österreich fast schon als fünftes Mitglied der Visegrád-Gruppe agiert.

Das alles ist Ausdruck von Feigheit derer, die - in italienischer Diktion - zur "classe politica" gehören. Diese Klasse wird von der Angst bestimmt, nur ja nicht auf dem Boulevard als "unpatriotisch" gebrandmarkt zu werden. Es fehlt der Mut, den Alois Mock, Franz Vranitzky, Brigitte Ederer, Ferdinand Lacina und Erhard Busek vor 1995 aufgebracht haben - eine zögernde Öffentlichkeit zu überzeugen.

Eine Langfassung des Textes ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) erschienen: www.oegfe.at/policybriefs