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Warum Österreich mir Hoffnung gibt

Von Olexander Scherba

Gastkommentare
Olexander Scherba ist Botschafter der Ukraine in Österreich.
© Ukrainische Botschaft

Die Corona-Pandemie wird für Europa nicht zu dem werden, was Tschernobyl für die Sowjetunion wurde.


Die Corona-Krise war ein Deja-vu für einige von uns. Dieses Gefühl einer unsichtbaren und trotzdem allgegenwärtigen Gefahr, diese so einladenden und trotzdem leeren Frühlingsstraßen - das haben Millionen Ukrainer schon erlebt, nämlich vor genau 34 Jahren, als das bittere Wort Tschernobyl ("Wermut" auf Ukrainisch) die ganze Welt erschaudern ließ. Vieles ist seitdem geschehen. Die Katastrophe von Tschernobyl war nur das erste in einer ganzen Kette von Ereignissen in unserer Lebenszeit, die davor unvorstellbar waren und trotzdem die Welt für immer verändert haben. Die Corona-Pandemie steht zweifelsohne ganz groß in dieser Reihe.

Tage wie diese - wo jeder ein Recht auf Angst und Egoismus hat und es trotzdem nicht unbedingt in Anspruch nimmt - sagen viel über uns als Menschen und als Menschheit aus. In diesem Sinne gibt mir ausgerechnet Österreich die Hoffnung, dass Europa diese Krise würdig überstehen wird. Zu keinem Moment der Pandemie geriet man hier in Panik oder wurde hysterisch.

Die österreichischen Evakuierungsflüge halfen auch Angehörigen anderer Nationen, nach Hause zu kommen. Österreichs Autobahnen blieben und bleiben für Transitverkehr anderer Nationen offen. Österreich blieb und bleibt für die Stimmen anderer Nationen - auch außerhalb der EU - stets offen. Niemand ist fehlerfrei, doch inmitten der Corona-Krise verhält sich Österreich solidarisch. Man sieht es.

Die Welt ist noch längst nicht geheilt, und die Krise ist noch nicht überstanden. Dennoch wäre es in gewisser Weise gerecht, wenn die Heilung und die Rückkehr zur Normalität ausgerechnet hier beginnen würden. Österreich hat es verdient.

Die Corona-Pandemie wird für die EU nicht zu dem, was Tschernobyl für die Sowjetunion wurde. Damals, vor 34 Jahren, fühlten sich die Menschen von ihrer Regierung verraten und - noch wichtiger - angelogen. Das vereinte Europa kann für einiges kritisiert werden, aber Gleichgültigkeit und Verlogenheit sind kaum in seiner DNA zu finden. Diese Krise zeigt es deutlich.

Diejenigen, die es sich erhoffen, dass die europäische Zeit nun um 50 oder 75 Jahre zurückgedreht wird und die Nationen Europas sich erschrocken in ihre nationalen Quartiere zurückziehen, werden enttäuscht werden. Die EU wird diese Pandemie überstehen - weil sie nicht aus politischem Kalkül, Gier oder Angst entstand, sondern aus der Bereitschaft vieler Europäer, anders zu leben als während ganzer Jahrtausende davor. Die EU ist ein Experiment mit globaler Bedeutung, ein Versuch der Menschheit, zu einem neuen, humaneren und ehrlicheren Miteinander zu gelangen. An einem Virus (egal wie schlimm) darf dieser Versuch nicht scheitern.

Die Welt schaut zu, wie Europa agiert: kühl und erwachsen oder panisch und egoistisch. Diese Erfahrung - die gute wie die schlimme - ist etwas, das man in die neue Realität nach der Pandemie ganz gewiss mitnehmen sollte, um sich mit alten Problemen Europas (etwa dem leider andauernden russisch-ukrainischen Krieg) aufs Neue auseinanderzusetzen. Nach dem Motto: ehrlich und solidarisch, kühl und erwachsen.