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Hat Europa in der Corona-Krise versagt?

Von Karl Aiginger

Gastkommentare

Man kann es auch anders sehen: Besonders versagt haben die Populisten. Die EU sollte trotzdem einige Verbesserungen vornehmen.


Man sollte in einer Krise solidarisch sein und auch nicht eine Gemeinschaft schlechtmachen, von der man so viel profitiert hat. Aber es gibt Kritik am Krisenmanagement der EU. Sie hat bei Grenzschließungen zugeschaut, auch wenn Güter "abgelenkt" wurden. Es gibt Mindestreserven für Öl, aber nicht für Schutzanzüge, Masken, Intensivbetten. Es fehlten Informationen, nationale Gesundheitssysteme wurden wegen der Vorgaben des Fiskalpaktes "kaputtgespart", nicht besser vernetzt und effizienter.

Aber man kann es auch anders sehen. Die Populisten haben besonders versagt, das Italien Matteo Salvinis wurde zum Hotspot; Viktor Orbán bekämpfte in Ungarn die Demokratie, nicht Corona; Boris Johnson, Jair Bolsonaro und Donald Trump schlittern herum zwischen Abwiegeln und der Suche nach Schuldigen. Die Chinesen haben alte Eigenschaften herausgekramt: Leugnung, Vertuschung, Überwachung. Vielleicht gab es einen entscheidenden Fehler im Labor in Wuhan, jedenfalls wurden Personen mit schwarzer Hautfarbe öfter getestet.

Späte, aber richtige Reaktion

Da war die späte, aber umfassende und letztlich weitsichtige Reaktion der EU schon besser. Spitäler öffneten sich manchmal für Opfer in anderen Ländern, Deutsche habe weiter Kinder aus Flüchtlingslagern aufgenommen, Masken und Medizinen wurden gemeinsam bestellt. Fiskalgrenzen wurden aufgehoben, Forschung verstärkt. Und aus der vergangenen Finanzkrise war gelernt worden: Europa hat stabilere Banken und Rettungsfonds, die auch überschuldeten Staaten helfen, ohne dass deutsche Gerichte dies als Transferunion verteufeln können. Der Begriff "Corona-Bond" wird vermieden, "Wiederaufbaufonds" findet Zustimmung. Klotzen statt Kleckern wurde die Devise zur Stabilisierung, das neue EU-Budget wird nochmals überprüft und nach oben angepasst.

Aber das Entscheidende ist: Können die Ausgaben getätigt werden, ohne nachher die Steuern massiv zu erhöhen? Wäre das notwendig, würde eine zweite Welle kommen - nicht vom Virus, sondern von der Therapie. Eine Doppelkrise kann nur verhindert werden, wenn jetzt die Probleme gemeinsam angegangen werden:

Erstens muss die staatliche Bürokratie entrümpelt werden, nicht nur in Griechenland und Italien. Es müssen die Ausgaben gekürzt werden, die jede und jeder als sinnlos empfindet: Subventionen für fossile Energie und düngemittelintensive Landwirtschaft, Kosten des Kompetenzdschungels, Privilegien, die weder Gesundheit schützen oder Armut vermeiden, hohe Gehälter für Personen, die nicht wechseln wollen, obwohl sie es könnten.

Zweitens müssen Staatshilfen mit Zukunftsinvestitionen verbunden werden, Firmenrettung mit Energiesparen, Kurzarbeit mit Weiterbildung, Arbeitslosengeld mit Mobilität. Klimainvestitionen müssen vorgezogen werden. Heizungssysteme mit erneuerbarer Energie und Infrastruktur für E-Mobilität haben doppelte Vorteile. Gütertransporte der Bahn dürfen nicht mehr an jeder Grenze stehen, weil Lenker und Technologie wechseln. Kurzstreckenflüge müssen teuer werden, Elektrobusse den Diesel ersetzen, regionales Einkaufen durch breitere Gewerberechte ermöglicht werden.

Drittens muss die soziale Ungleichheit dauerhaft verringert werden. Armut begünstigt Krankheiten und senkt die Lebenserwartung, Ausbildung steigert sie. Zahlungen, wenn Arbeitslosigkeit eingetreten ist, sind notwendig, besser sind breitere Fähigkeiten und Problemlösungsfähigkeit.

Nur Synergien ersparen massive Steuererhöhungen: Wenn die drei Teilstrategien - Aufgabenreform, Green Deal und sozialer Ausgleich - in der Krise zusammengedacht werden, dann sind sie finanzierbar und wohlfahrtssteigend. Dann und nur dann muss kein Megasparpaket kommen, das die Erholung erstickt.

Entscheidend ist, dass wir schon heute den Exit vorbereiten: jenen aus der Krise, nicht aus der EU oder aus der WHO. Dann hat Europa sogar gewonnen und kann auch aus der Corona-Krise lernen, wie schon bei der Finanzkrise.