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Die Armee im "Krieg" gegen Corona

Von Thomas Roithner

Gastkommentare
Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund - Österreichischer Zweig (www.thomasroithner.at).
© privat

Sicherheit á la "America first" treibt mannigfaltige Blüten.


Jetzt ist schon wieder was passiert. Nach den Flüchtlingen nun also Corona. Und schon wieder sind Soldaten des Bundesheeres in einer schon vorher nicht unwahrscheinlichen Krise in längerer Inlandsmission. Sicherheit wird seit einigen Jahren besonders großgeschrieben. Genau betrachtet nicht Sicherheit, sondern "Versicherheitlichung". Probleme werden dabei als besondere Gefährdungen deklariert, die Maßnahmen außerhalb des gewohnten Instrumentenkastens erfordern würden. Gefährdung als Dauerzustand samt Gewöhnungseffekt mit Beigeschmack.

Nicht zum ersten Mal geben wir Freiheit für Sicherheit. Alle möglichen und unmöglichen Politikbereiche durch die Sicherheitsbrille zu betrachten, hat die vergangene türkis-blaue Bundesregierung besonders gerne gepflogen. Unterschiedliche zivile, polizeiliche und justizielle Aufgaben wandern zeitweise in Richtung Armee ab. Rechtlich gedeckt. Die Armee an der Grenze ist schon beinahe normal. Soldaten gegen Schlepper, Soldaten gegen Botschaftsbedrohungen, Soldaten gegen Ganoven im Internet, Armeeflugzeuge schieben Asylwerber ab, Militärfahrzeuge übernehmen Häftlingstransporte, die Armee jagt auch ganz gewöhnliche Kriminelle - das Militär wird gegen alles eingesetzt, was man für eine ungewöhnliche Bedrohung hält.

Wir stochern uns seit Jahren durch einen Sicherheitsnebel. Ursachen, Instrumente und Lösungsansätze werden - bewusst wie unbewusst - vermengt. Sicherheitsapparate werden EU-weit aufgewertet. Ein Blick in bunte Tageszeitungen mochte hie und da den Eindruck erwecken, als wäre eine Sicherheitsdoktrin und nicht ein Regierungsprogramm das leitende Dokument.

Es geht hier weniger um den Strafzettel fürs Bankerlsitzen, sondern um institutionelle Zuständigkeiten und deren entsprechende finanzielle Dotierung. Aus gutem Grund sollen Soldaten nicht als Polizisten gehen, auch wenn Emmanuel Macron die Eindämmung von Corona enttarnend als "Krieg" bezeichnet. Und weil der Zweck nicht alle Mittel heiligt. Welche Aufgaben, Unternehmen und Produkte systemrelevant sind, konnte in den ersten vier Wochen der Ausgangsbeschränkung gut abgelesen werden.

Kardinal Christoph Schönborn forderte ein Korrigieren der Globalisierung. Es braucht auch eine Korrektur des Sicherheitsdenkens in der EU und in Österreich. Offenkundig ist, dass manche Staaten bei Grenzschließungen, beim Einschränken von Grundrechten oder beim Ellenbogenausfahren bei der Maskenbeschaffung im Sinne der nationalen Sicherheit schneller sind, als die Polizei erlaubt.

Sicherheit à la "America first" treibt in diesem Frühling weltweit mannigfaltige Blüten. Während die EU-Kommission im Länderbericht zu Österreich 2019 im Gesundheitssystem über überdurchschnittlich viele verfügbare Betten in der Akutversorgung klagte, standen Milliardenbeträge für den EU-Rüstungsfonds, das militärische Schengen oder Projekte wie EU-Kampfhubschrauber oder Euro-Artillerie auf der Agenda. Über die Prioritätensetzungen des kommenden EU-Finanzrahmens werden Debatten unausweichlich sein - statt militärischer Sicherheit ist menschliche Sicherheit das Gebot der Stunde.