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Der 1. Mai als Tag der Arbeit begann in Wien

Von Gerhard Oberkofler

Gastkommentare

1890 stellte der erste Arbeiterkongress den Acht-Stunden-Tag in den Fokus.


Auf Initiative der Französischen Arbeiterpartei kam im Juli 1889 zum 100-Jahr-Gedenken der Französischen Revolution ein internationaler Arbeiterkongress in Paris zusammen. Zu den Beschlüssen der mehr als 400 Delegierten von sozialistischen Parteien und Gruppierungen aus 20 Ländern Europas und Amerikas gehörte der von Èdouard Vaillant, Paul Lafargue, August Bebel und Victor Adler vorbereitete Antrag, "eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar derart, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des Kongresses zur Durchführung zu bringen". Als internationaler Kundgebungstag wurde der 1. Mai festgesetzt.

Die österreichische Arbeiterschaft war von Anfang an mit revolutionärer Begeisterung dabei. Broschüren und Flugblätter wurden mit der Losung über Acht-Stunden-Tag und Arbeiterschutz verteilt, gelesen und weitergegeben. Allein in Wien erschien zu Beginn 1890 die in 50.000 Exemplaren aufgelegte Flugschrift "Der achtstündige Arbeitstag - Ein Mahnwort an alle, die es noch nicht wissen". Die Herrschaftseliten mit den zu ihnen aufschauenden Massen abhängiger Schichten und die bäuerliche, von der katholischen Kirche manipulierte Bevölkerung wurden unruhig und warnten mit ihren Medien vor einem neuen Sturm auf die Bastille.

Am 18. April 1890 besprach der cisleithanische Ministerrat mit Kaiser Franz Joseph die Situation: "Seine Majestät erklären sich mit dem vom Ministerium in dieser Sache eingenommenen Standpunkt allergnädigst einverstanden und sind erfreut darüber, dass mit Energie vorgegangen werden soll. (. . .) Was die Angelegenheit betrifft, heben seine Majestät allergnädigst hervor, dass die Regierung mit Entschiedenheit auftreten wird, von dem richtigen Standpunkt ausgehend, dass das Begehren auf Freigebung des 1. Mai illegal ist. Es sei notwendig, der immer steigenden, zu einem bedenklichen Maße heranwachsenden Bewegung mit Nachdruck entgegenzutreten."

Die "Neue Freie Presse" veröffentlichte auf ihrer Frontseite am Abend zum 1. Mai 1890 einen Alarmartikel: "Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Thore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vorbereitet wie vor eine Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse, auf allen Gemüthern lastet der Druck einer schweren Sorge." Immerhin konnte die "Neue Freie Presse" ihren Leserinnen und Lesern Trost mit der Mitteilung spenden, dass Kaiserin Elisabeth nach glücklich beendeter sechswöchiger Cur in Begleitung von Erzherzogin Marie Valerie mit einem Sonderzug nach Wien abgereist sei.

Überall im k. k. Österreich fanden 1890 Mai-Kundgebungen statt, auf denen die Resolution angenommen wurde, "dass die Forderung eines gesetzlich festzustellenden Normalarbeitstages, der in den wirtschaftlich entwickelten Ländern schon jetzt unter Wahrung aller berechtigten Interessen der Industrie auf acht Stunden bemessen werden kann, sowie die übrigen von dem Pariser Kongress formulierten Forderungen des nationalen und internationalen Arbeiterschutzes eine Lebensfrage für das arbeitende Volk ist". Wien konnte, wie Friedrich Engels in einem von der "Arbeiter-Zeitung" veröffentlichten Artikel gerne feststellte, "allen anderen ein Vorbild geben, wie ein proletarisches Klassenfest zu feiern ist". Das war freilich vor 130 Jahren.