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Das nächste verlorene Jahrzehnt im globalen Süden?

Von Michael Obrovsky und Werner Raza

Gastkommentare

Türkis-Grün muss die Entwicklungszusammenarbeit deutlich aufwerten.


Die Corona-Krise hat in kürzester Zeit viele wirtschaftspolitische Dogmen über Bord geworfen und drastisch vor Augen geführt, dass der Markt alleine nicht in der Lage ist, alle Probleme zu lösen. Staatliches Handeln in der Krise ist mehr denn je gefragt. Nationale Hilfsprogramme zur Stützung der Wirtschaft werden derzeit quer durch alle ideologischen Lager befürwortet. Die Verteilung von Schecks über 1200 Dollar pro Person in den USA zur Ankurbelung der Wirtschaft, die Einrichtung eines europäischen Wiederaufbaufonds über mindestens eine Billion Euro oder das Hilfspaket der Bundesregierung über satte 38 Milliarden Euro wären zu Jahresbeginn noch undenkbar gewesen.

Vor dem Hintergrund der düsteren Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu den Auswirkungen der Pandemie auf die globale Wirtschaft ("World Economic Outlook" des IWF vom April 2020) besteht die Gefahr, dass das Wirtschaftswachstum auf Kosten des Klimas und der Umwelt wieder stärker betont wird. Auf EU-Ebene wird der europäische Grüne Deal angesichts der Corona-Krise bereits wieder in Frage gestellt wird. Das wäre ein Fehler. Die Klimakrise ist wegen Covid-19 nicht weniger bedrohlich geworden. Gerade jetzt müssen Umwelt- und Klimamaßnahmen eingefordert werden. Aber das reicht angesichts der drohenden sozialen Konsequenzen der Krise nicht aus.

In den vergangenen Tagen haben viele internationale Organisationen auf die negativen Folgen der Coronavirus-Pandemie für die Menschen im globalen Süden hingewiesen: Im schlimmsten Fall könnten 922 Millionen Menschen in absolute Armut geraten (also weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben). Die Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern nehmen aufgrund der Krise dramatisch ab. Der IWF warnt zudem, dass Quarantänemaßnahmen, Ausgangsbeschränkungen und der wirtschaftliche Lockdown gerade in diesen Ländern zu sozialen Unruhen führen können, wenn die Maßnahmen zur Abfederung der Krise zu gering ausfallen.

Armutsreduktion im globalen Süden wird mithilfe von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe durchgeführt. Die dafür aufgewendeten öffentlichen Mittel reichen aber nicht aus. Österreich lag im Jahr 2019 bei der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) mit einer Quote von 0,27 Prozent des Bruttonationaleinkommens weit unter dem Durchschnitt der EU-Länder von 0,47 Prozent und dem selbstgewählten Ziel von 0,7 Prozent. Nur ein Bruchteil davon fließt in die Armutsbekämpfung. Angesichts der Unsummen, die derzeit für die Krisenbekämpfung ausgegeben werden, führt sich das Argument, dass wir uns eine höhere EZA nicht leisten könnten, ein für alle Mal ad absurdum.

Die Entwicklungsländer mit den massiven gesundheits- und sozialpolitischen Folgen von Covid-19 alleine zu lassen, wird auf uns in Europa und Österreich zurückfallen. Österreich verwendet allein 15 Milliarden Euro für den Corona-Hilfsfonds zur Unterstützung der heimischen Wirtschaft. Warum nicht 0,7 Prozent oder 105 Millionen Euro davon an Hilfen den Entwicklungsländern zur Verfügung stellen? Geld dafür gäbe es genug!