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Von Panda-Diplomatie zur globalen Pandemie

Von Faruk Ajeti

Gastkommentare

Chinas neue Rolle: Wenn die Corona-Krise - früher oder später - vorüber ist, werden viele Dinge in der Weltpolitik anders aussehen.


Zwei besondere internationale Ereignisse prägten das Ende des Jahres 2019. Beide sind interessanterweise mit China verbunden: die Menschenrechtslage in Xinjiang und das Coronavirus.

Als im Oktober 2019 in der zentralchinesischen Stadt Wuhan das Coronavirus ausbrach und sich bald die damit verbundene Krankheit zu einer Pandemie auswuchs, wurde China wieder ein Hauptthema der Weltpolitik. Darüber hinaus hat der Coronavirus-Ausbruch den westlichen Ländern und transatlantischen Beziehungen deutlich gemacht, wie die globale Politik unvorhersehbarer geworden ist. Diesmal auch innerhalb der westlichen Staaten. Ironischerweise wurde Italien - das am stärksten vom Coronavirus betroffene Land in Europa - schneller und mehr vom weit entfernten China geholfen als von seinen nahen europäischen Partnern.

Die EU war - wie nach 2008 bereits öfter zu sehen - nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Statt ihre Solidarität zu stärken, setzten die EU-Staaten auf gegenseitige Einreisebeschränkungen und Grenzkontrollen. US-Präsident Donald Trump verhängte (einseitig) ein 30-tägiges Einreiseverbot für die EU. Mit anderen Worten: Abdankung der Solidarität zwischen westlichen Staaten, Rückkehr zum Nationalstaat, Priorisierung von nationalen Interessen und Konzentration über die eigene Bevölkerung. Ein Déjà-vu der Migrationskrise 2015.

Es fehlte nicht nur die innere europäische, sondern auch die transatlantische Solidarität und enge Zusammenarbeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg die transatlantischen Beziehungen charakterisierte. Die europäische Solidarität wurde vom serbischen Präsidenten Aleksander Vucic als "Märchen" bezeichnet und er erklärte: "Das einzige Land, das uns helfen kann, ist China." Und China half nicht nur Italien und Südkorea aus moralischer Pflichtverantwortung sowie Serbien und dem Iran als engsten Verbündeten, sondern auch zahlreichen anderen Staaten der Welt. Wenn die Corona-Krise - früher oder später - vorüber ist, werden viele Dinge in der Weltpolitik anders aussehen.

Menschenrechte mit chinesischen Charakteristika

Als im Oktober 2019, unter Führung von westlichen Ländern, 23 Staaten (nur 18 aus Europa) bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats von der Führung in Peking forderten, die Inhaftierungen von Uiguren und anderen ethnischen Gemeinschaften zu beenden, mobilisierte China rasch eine Koalition von 53 Staaten, die durch ein gemeinsames Statement Pekings Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, des Islamismus und des Radikalismus in Xinjiang lobten. Aus der "17+1"-Initiative stimmten nur Albanien, Estland, Lettland und Litauen dafür und Serbien als einziger Staat mit europäischer Perspektive dagegen, während zwölf andere Staaten aufgrund ihrer "vorsichtigen" China-Politik keine Position bezogen.

Dieser diplomatische Erfolg Pekings ist nicht nur ein Nebeneffekt von Chinas neuer Rolle als globaler Machtakteur, sondern spiegelt auch eine neue Abhängigkeit wider. China ist schon als neue Macht in Europa etabliert, obwohl sich anscheinend nicht alle Europäer dessen bewusst sind. Die Zurückweisung der (zurückhaltenden) außenpolitischen Maxime von Chinas Reformarchitekten Deng Xiaoping - "Verstecke Deine Stärken und warte, bis die Zeit gekommen ist" - durch die heutige Führung der chinesischen Kommunistischen Partei ist ein zusätzliches Argument für die wachsende Rolle Chinas, die neue Weltordnung mitzugestalten.

Auf der anderen Seite sind die westlichen Länder mehr mit sich selbst beschäftigt, weniger bereit, sich in globale Angelegenheiten einzumischen, und noch weniger, die westlichen Werte - Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Diversität - in Schutz zu nehmen. Das ist genau das, was die autoritären Regimes sich wünschen: eine neue (globale) Interpretation der Bürger- und Menschenrechte.

Nach jeder Krise ist es üblich, dass man Lehren zu ziehen versucht. Auch 1956 stellte ein wichtiges Jahr in der europäischen Geschichte dar. Nicht (nur) die sowjetische Intervention im November 1956 in Budapest, die den ungarischen Volksaufstand blutig niederschlug, sondern die Krise nach der Verstaatlichung des Suez-Kanals durch den ägyptischen Staatschef Gamal A. Nasser aufgrund der britischen, französischen und israelischen Intervention - ohne Absprache mit den USA und der Nato. Für viele Historiker markierte die Blitzintervention in der Suez-Krise das Ende Großbritanniens und Frankreichs als Großmächte und eröffnete ein neues Kapitel auch für die USA. Die Frage, die man heute stellen sollte, lautet, ob das Ende der Corona-Krise einen neuen Anfang für die Volksrepublik China bedeuten kann.

Eine Impfung für das transatlantische Verhältnis

Bevor die Amerikaner und Europäer sich bei den Chinesen melden, sollten sie ihre derzeitigen schlechten Beziehungen, die wahrscheinlich schlechtesten nach dem Zweiten Weltkrieg, verbessern. Eine erfolgreiche "transatlantische Stunde" ist eine Voraussetzung für eine neue friedliche "Pazifik-Stunde" mit China und auch mit Russland. Hoffentlich werden bald am transatlantischen Horizont Strömungen von beiden Seiten des Ozeans gesehen werden, die die Dringlichkeit der engeren Zusammenarbeit nicht als Privileg, sondern als Notwendigkeit verstehen.

Die westlichen Staaten handeln mit Selbstgefälligkeit in der Krise, und diese Krise ist nicht vom Coronavirus verursacht. Der erfolgreiche Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie braucht eine neue Impfung. Wie es aussieht, benötigen dies auch die transatlantischen Beziehungen - das Rezept dafür ist eigentlich nach 1918, 1945 und 1989 schon bereit, ausgestellt zu werden. Doch es gibt wenig Motivation, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen.