Zum Hauptinhalt springen

Arm, aber glücklich? Nein danke!

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Warum die "neue Bescheidenheit" nichts mit der Realität zu tun hat - und warum das gut ist.


Während immer mehr Menschen die harte Corona-Politik der vergangenen zwei Monate mit dem Verlust ihres Jobs bezahlen müssen, herrscht bei hauptberuflichen Glaskugelbesitzern Hochkonjunktur. Meist sagen sie uns voraus, dass nun eine neue Welt anbrechen werde, in der alles wunderbar entschleunigt werde, Nachhaltigkeit Konsumismus ersetze, wir nur noch lokale Produkte konsumieren und Spaziergänge am Land gegen den Billigflug nach Malle tauschen würden. Der deutsche Zukunftsforscher Horst Opaschowski dazu: "Die Menschen werden jetzt neu darüber nachdenken, was ihnen wichtig ist. (. . .) Man könnte das eine neue Bescheidenheit nennen."

Leider dürfte das in der wirklichen Welt noch niemand wissen. Ganz im Gegenteil. In Zukunft wird niemand mehr zum Diskonttarif fliegen? In der Wirklichkeit bieten die Airlines, sobald sie wieder fliegen können, echte Tiefstpreise an. Nach Athen etwa kommt man im Juli mit der AUA um 77 Euro und mit Whizzair um schlanke 59 Euro, beides hin und zurück und damit drastisch billiger als vor einem Jahr. Auch sonst ist beim Reisen in der realen Welt kein überzeugender Trend zum kleinen Glück im Garten zu bemerken.

Veranstalter von Kreuzfahrten, deren Schiffe so ziemlich alles verkörpern, was in der alten Normalität von Übel war, vermelden für 2021 volle Schiffe. Vermutlich die "neue Bescheidenheit". Die wird sich auch beim Autokauf, sobald der wieder anspringt, eher eigentümlich manifestieren, denn die meisten Kenner gehen nicht davon aus, dass wuchtige SUVs nun zu Ladenhütern werden. Wenn in den Öffis böse Viren vermutet werden, dürfte die Neigung, hinter viel Blech Schutz zu suchen, eher noch zunehmen.

Die meisten Menschen pfeifen einfach auf die "neue Bescheidenheit" und wollen, was sie immer wollen: möglichst viel Wohlstand. Umso mehr, als die Welt, die da jetzt nicht nur Zukunftsforscher herbeifantasieren, vor allem eines ist: ärmer, und zwar viel ärmer.

Dass etwa Spargel in Ostösterreich ab Hof von meist 9,90 Euro pro Kilo heuer auf 12,90 Euro gestiegen ist, kann man als Folge des neuen lokalen Biedermeiers verstehen. Teure hiesige Erntehelfer ersetzen billige aus dem Osten mit absehbarem Ergebnis: Preisanstieg um 30 Prozent. So wird das mit allen Produkten sein, wenn sie nicht mehr unter den Bedingungen der Globalisierung, sondern idyllisch lokal hergestellt werden. Natürlich gibt es sogar heute noch hervorragende Herrenhemden, die nicht in Bangladesh, sondern im Waldviertel genäht werden. DIe kosten dann halt um die 200 Euro das Stück, geringfügig teurer als die globalisierte Ware bei H&M oder Zara, die für 19,90 oder so zu haben ist.

Für gut dotierte Futurologen wird das wohl kein Problem darstellen, für einen durchschnittlichen Österreicher mit 3.500 Euro brutto im Monat aber eher schon. "Vielleicht werden wir ärmer aus dieser Krise hervorgehen - aber nicht unbedingt unglücklicher," kontert da Zukunftsforscher Opaschowski. Kann sein, gilt aber vermutlich erst bei Bezügen von 10.000 Euro im Monat und mehr. Armut ist eben relativ, auch in der Welt der vermeintlichen "neuen Bescheidenheit".