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Technologie und Anpassung statt Verzicht

Von Eric Heymann

Gastkommentare

Welche Lehren aus der akuten Corona-Krise für den längerfristigen Klimaschutz gezogen werden können.


Die Corona-Krise und der Klimawandel unterscheiden sich hinsichtlich der individuell gefühlten Betroffenheit und der Bereitschaft der Menschen, zur Lösung des Problems auf Gewohntes zu verzichten. Gemeinsam haben beide Herausforderungen, dass bessere technologische Lösungen notwendig sind, um hohe volkswirtschaftliche Kosten zu vermeiden. Bei der Corona-Krise zählen wirksame Medikamente und Impfstoffe gegen das Virus zu diesen Technologien. Beim Klimaschutz benötigen wir leistungsfähige, möglichst CO2-arme, regelbare und kostengünstige Energieträger, die klimaverträgliches Wachstum ermöglichen. Daran sollten die klügsten Köpfe der Welt in den kommenden Jahren forschen.

Die Corona-Krise hat den Klimawandel etwas aus dem Fokus der öffentlichen Debatte gerückt. Allerdings zählen die Bekämpfung des Klimawandels und - damit zusammenhängend - die Sicherstellung einer klimaverträglichen Energieversorgung für eine wachsende Weltbevölkerung weiter zu den elementaren Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Sie werden die Menschheit noch beschäftigen, wenn die Corona-Pandemie längst überwunden ist. Insofern ist es zu begrüßen, dass sich viele Politiker und Unternehmen dazu bekennen, beim Neustart der Wirtschaft den Klimaschutzgedanken nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu stärken. Über die Frage, wie Klimaschutz am besten erfolgen sollte, dürfte in den kommenden Jahren weiter intensiv gestritten werden.

Nationale Alleingänge sind beim Klima wirkungslos

Es lohnt ein vergleichender Blick auf die Corona-Krise sowie das Problem des Klimawandels. Es gibt Parallelen und Unterschiede. Wir glauben, dass man aus der Bekämpfung der Corona-Pandemie Lehren für die Klimaschutzpolitik ziehen kann. Die Corona-Pandemie ist ohne Zweifel eine akute Bedrohung. Menschen sterben unmittelbar an dieser Krankheit, wobei ältere Menschen und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen besonders betroffen sind. Das Virus wirkt also selektiv. Dort, wo die Gesundheitssysteme überlastet waren oder sind, kann die Corona-Krise als gesundheitlicher Notstand bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu lässt sich darüber streiten, wie akut das Problem des Klimawandels ist. Der Begriff "Klimanotstand", den einige Akteure bemühen, signalisiert eine hohe Dringlichkeit. Ohne diese Frage im Detail diskutieren zu wollen, kann man jedoch festhalten, dass der Klimawandel im Vergleich zur Corona-Krise weniger akut ist. Auch der Klimawandel selektiert: Er betrifft jene Menschen (häufig in ärmeren Ländern) mehr, die sich weniger an seine negativen Folgen anpassen können.

Sowohl die Corona-Krise als auch der Klimawandel sind globale Phänomene. Die Wortherkunft des Begriffs "Pandemie" signalisiert eine Betroffenheit für das "ganze Volk". Für den Klimawandel ist es unerheblich, wo auf der Welt Treibhausgase emittiert werden. Dennoch gibt es einen erheblichen Unterschied: Durch Grenzschließungen können einzelne Länder die Corona-Krise innerhalb ihres Staatsgebiets relativ gut durch nationale Maßnahmen beeinflussen. Sicher ist die Einstellung des internationalen Reiseverkehrs keine mittel- bis langfristig akzeptable Lösung. Sie hilft aber kurzfristig bei der Eindämmung von Neuinfektionen und ist ohne Abstimmung mit anderen Ländern wirksam.

Beim Klimawandel sind nationale Klimaschutzmaßnahmen dagegen weitgehend wirkungslos, wenn der Rest der Welt keinen ambitionierten Klimaschutz betreibt. Nationale Alleingänge sind für den Klimawandel umso unbedeutender, je geringer der Anteil des Landes an den globalen Treibhausgasemissionen ausfällt. Der Unterschied wird beim Extrembeispiel eines kleinen Inselstaates deutlich: Dieser könnte durch Abschottung gegenüber der Außenwelt das Coronavirus in kurzer Zeit auf seinem Territorium eliminieren. Für einen wirksamen Klimaschutz kann er aber keinen messbaren Beitrag liefern.

Bezüglich der Ursachen der beiden Probleme ist festzuhalten, dass der Klimawandel zu einem großen Teil auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist. Es gibt Unsicherheiten, wie groß dieser Anteil genau ausfällt. Dass aber der Mensch durch die Verbrennung fossiler Kraftstoffe nennenswert zum Klimawandel beiträgt, gilt als sicher. Aus ökonomischer Sicht ist der Klimawandel ein globaler negativer externer Effekt: Die negativen externen Effekte von Treibhausgasemissionen, die den anthropogenen Anteil des Klimawandels verursachen, werden nicht (ausreichend) bepreist. Die Ursache der Corona-Pandemie lässt sich weniger direkt auf menschliche Aktivitäten zurückführen. Man kann argumentieren, dass es durch das Vordringen des Menschen in die natürlichen Lebensbereiche von Wildtieren wahrscheinlicher wird, dass Viren von Tieren auf den Menschen überspringen. Dies gab es aber bereits in früheren Zeiten, als deutlich weniger Menschen die Erde bevölkerten.

Hilfsprogramme und Eingriff in freiheitliche Grundrechte

Nicht nur die umweltökonomische Theorie, sondern auch der gesunde Menschenverstand raten dazu, bei einer akuten Bedrohung gravierende Maßnahmen für die Gefahrenabwehr zu ergreifen. Dies zeigt sich in der Corona-Krise. Hier setzen die Regierungen der Welt derzeit harte ordnungsrechtliche Instrumente ein. Dazu zählen Verbote vieler wirtschaftlicher und privater Aktivitäten - der ökonomische und gesellschaftliche Lockdown. Ein Nachteil des Ordnungsrechts liegt in aller Regel in den hohen wirtschaftlichen Kosten. Um diese volkswirtschaftlichen Kosten des Lockdown abzumildern, gewährt der Staat umfangreiche Subventionen und Hilfsprogramme für die betroffenen Wirtschaftssubjekte; diese sind also das zweite wichtige Instrument in der Corona-Krise.

Abgesehen von den Kosten sind die staatlichen Maßnahmen ein erheblicher Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte der Menschen und ein Verzicht auf gewohnte Lebensqualität. Aktuell werden diese Einschränkungen noch von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert. Es dürfte aber niemand so naiv sein zu glauben, dass dies über eine längere Frist der Fall sein würde. Die Politik betont jedenfalls, dass die aktuellen Einschränkungen einen absoluten Ausnahmezustand darstellen.

Beim Klimaschutz setzen die Regierungen auf einen Mix verschiedener Instrumente. Auch hier spielt das Ordnungsrecht (Gebote, Verbote, Quoten, Grenzwerte) eine große Rolle. Viele Technologien werden subventioniert; man denke an erneuerbare Energien. Zugleich werden marktwirtschaftliche Instrumente eingesetzt. Dazu zählen Energie- und CO2-Steuern oder der Emissionshandel. Damit sollen negative Effekte von Treibhausgasemissionen internalisiert werden. Eine solche "Bepreisung der Ursache" ist bei CO2 und anderen Treibhausgasen grundsätzlich möglich. Das Coronavirus zu bepreisen, ist jedoch keine umsetzbare Idee.

Wenig transparente Kosten der Klimaschutzpolitik

Die Akzeptanz der Klimaschutzpolitik ist in vielen Ländern ebenfalls noch hoch. Häufig sprechen sich die Menschen in Umfragen sogar für mehr Klimaschutz aus. Die Akzeptanz ist bisher auch deshalb noch hoch, weil die Kosten der Klimaschutzpolitik wenig transparent sind und über einen längeren Zeitraum anfallen. Sie werden von den Menschen über viele Preise im Alltag sowie über Steuern (oder ausbleibende Steuersenkungen) getragen. Zudem fallen klimapolitisch motivierte Einschränkungen im Alltagsleben bisher gering aus. Wenn die Menschen es sich finanziell leisten können, dürfen sie unbegrenzt verreisen, in größeren Wohnungen oder Häusern leben und diese nach ihren Präferenzen beheizen, immer mehr elektronische Konsumgüter nutzen, unbegrenzt im Internet surfen, Filme und Musik herunterladen, Autos ihrer Wahl kaufen, Fleisch und Südfrüchte essen etc. Die gleichen Umfragen, in denen sich die Menschen für mehr Klimaschutz aussprechen, zeigen häufig aber auch, dass die Bereitschaft, (deutlich) höhere Kosten dafür zu tragen, weniger stark ausgeprägt ist.

Die Corona-Krise zeigt: Starke ordnungspolitische Eingriffe werden akzeptiert, wenn es eine akute Bedrohung gibt. Gleichwohl ist an der globalen Lockerungsdebatte zu erkennen, dass diese Akzeptanz im Zeitablauf (und mit Abnahme der Bedrohung) schwindet. Wir halten klimapolitisch motivierte Eingriffe in das Alltagsleben der Menschen in der Art, wie wir sie derzeit in der Corona-Krise sehen, in den kommenden Jahren für demokratisch nicht mehr mehrheitsfähig. Dafür ist erstens die individuell gefühlte Bedrohung nicht akut genug, zweitens gibt es Anpassungsmöglichkeiten an den jeweils erlebten Klimawandel, und drittens ist der Beitrag jedes einzelnen Bürgers und selbst ganzer Volkswirtschaften für den Klimaschutz zu wenig spürbar. Selbst Verzicht zu üben, wenn viele andere das nicht tun, wird sich aus unserer Sicht als Lebensentwurf nicht durchsetzen.

Man könnte natürlich argumentieren, dass eine Änderung des Lebenswandels im Sinne des Klimaschutzes nicht durch Ordnungsrecht, sondern durch höhere Preise für CO2 erreicht wird. Und in der Tat sind marktwirtschaftliche Instrumente gegenüber dem Ordnungsrecht sowie technologiespezifischen Subventionen in puncto ökonomische Effizienz und ökologische Effektivität deutlich überlegen. Nur so besteht überhaupt eine einigermaßen realistische Chance, die ambitionierten langfristigen Klimaschutzziele zu erreichen. Dennoch: Wird ein gewisses Preisniveau für CO2 überschritten, sodass sich die Menschen im Alltag lieb gewonnene Dinge nicht mehr leisten können (etwa Urlaubsreisen), dürften die demokratischen Mehrheiten schrittweise kippen. Die Gefahr, dass ein zu strenger Klimaschutz (entweder über Energie- und CO2-Preise oder über Ordnungsrecht) zu einer Stärkung der politischen Ränder führen würde, ist enorm.

Eine Blaupause für die Klimaschutzpolitik

Die Corona-Krise zeigt auch: An den vielen vermeintlich unnötigen Dingen des Alltags, auf die die Menschen aktuell verzichten müssen, hängen Millionen Jobs. Wegen der hohen volkswirtschaftlichen Kosten lässt sich die Corona-Krise daher dauerhaft nicht mit pauschalem Verzicht, sondern nur mit Technologien lösen. Solche Technologien sind wirksame Medikamente und Impfstoffe gegen das Virus, an denen Wissenschaftler derzeit weltweit forschen. Solange diese noch nicht verfügbar sind, müssen wir durch Hygienemaßnahmen Abstandsregeln und ähnliches versuchen, eine Verbreitung des Virus einzudämmen. Zudem müssen wir uns an die Existenz des Coronavirus anpassen.

Gewissermaßen ist die Corona-Krise daher eine Blaupause für die Klimaschutzpolitik. Auch hier brauchen wir bessere Technologien als die heute verfügbaren. Wir benötigen leistungsfähige, möglichst CO2-arme, regelbare, kostengünstige Energieträger, die klimaverträgliches Wachstum ermöglichen. Daran sollten die klügsten Köpfe der Welt in den kommenden Jahren forschen. Ein dauerhafter massiver Verzicht auf Wachstum und/oder eine Einschränkung individueller Konsum- und Produktionsfreiheiten für den Klimaschutz würde dagegen demokratisch dauerhaft nicht akzeptiert und zu hohen Kosten führen. Auch hier gilt: Solange solche Technologien noch nicht verfügbar sind, müssen wir versuchen, den Klimawandel durch den Einsatz der bereits heute und kurzfristig verfügbaren Technologien zu verlangsamen. Ferner wird auch beim Klimawandel in den kommenden Jahren ein gewisses Maß an Anpassung notwendig sein.