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Die Eurozone hängt am seidenen Faden

Von Heinz Handler

Gastkommentare
Heinz Handler ist Ökonom, Dozent an der Technischen Universität Wien und stellvertretender Vorsitzender der Querdenkerplattform Wien-Europa (www.querdenkereuropa.at).
© privat

Österreich sollte im Nord-Süd-Konflikt nicht polarisieren, sondern vermitteln.


Der US-Ökonom Nouriel Roubini hat in der "Wirtschaftswoche" vom 20. Mai den drohenden Kollaps der Eurozone an die Wand gemalt, wenn nicht für die besonders betroffenen Länder neuer Finanzierungsspielraum geschaffen werde. Um diesem Problem zu begegnen, haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Wiederaufbaufonds von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, der über eine EU-Anleihe finanziert werden und nicht rückzahlbare Zuwendungen an die Mitgliedstaaten vergeben soll. Solche Anleihen hat es immer wieder gegeben, wenn auch selten und bisher nur für vergleichsweise unbedeutende Projekte. Ganz allgemein sind solidarische Zuschussfinanzierungen in der EU üblich, sie reichen vom EU-Budget selbst bis zu Finanzierungen über die Europäische Investitionsbank, den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die Europäische Zentralbank.

Dennoch war der Sturm der Entrüstung bei den "Sparsamen Vier" (Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden) - wie schon im Februar beim Mittelfristigen Finanzrahmen - enorm. Abgelehnt werden die solidarische Finanzierung und Zuschüsse. Der Alternativplan dieser "Frugal"-Gruppe sieht einen auf zwei Jahre befristeten Notfallfonds vor, der neben dem regulären EU-Budget eingerichtet werden und der unter Auflagen Kredite an die Mitgliedsländer vergeben soll.

Eine Lösung dieses Konflikts erfordert wohl noch viele zeitraubende Verhandlungen, in denen die Finanzierung herkömmlicher Staatsausgaben und die Corona-bedingten Sonderaufwendungen auseinanderzuhalten wären. Für Erstere sind die Maastricht-Kriterien ohnehin bis auf Weiteres suspendiert, für Corona-induzierte Kosten geht es dagegen um temporäre EU-Hilfen, die nicht bedingungslos an die Regierungen der Mitgliedstaaten fließen, sondern ausgewählten Investitionsprojekten zugutekommen. Für rein kommerzielle Projekte mit laufenden Erträgen eignen sich rückzahlbare Kredite, für gemeinnützige Vorhaben aber besser Zuschüsse.

Die Umsetzung könnte sich - zumindest in einigen Grundsätzen - am Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF) orientieren, der erst im März auch für die öffentliche Gesundheit geöffnet wurde. Die massive Bekämpfung der Corona-Krise sollte aber einem modifizierten Verfahren unterliegen, in dem förderwürdige Projekte von der EU-Kommission auf Vorschlag einer unabhängigen Expertengruppe (nach Richtlinien, die auf Vorschlag der EU-Kommission vom EU-Parlament erstellt werden) vergeben und im Nachhinein vom EU-Parlament kontrolliert werden.

Realistischer ist zweifellos ein Verfahren, in dem auch der Rat der EU ein wichtiges Mitspracherecht hat, doch sollte sich das möglichst nicht auf die Umsetzung erstrecken. Auch wenn die Ausgestaltung des Verfahrens, die Richtlinien und die Auswahl der Experten dem zeitaufwendigen Hickhack zwischen den Mitgliedstaaten ausgesetzt wären, könnte man danach das Hauptziel der Krisenbewältigung zum Vorteil der gesamten EU ohne große Reibungsverluste ansteuern. Dieses Verfahren stünde außerdem für allfällige spätere Krisen als Modell zur Verfügung.