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Achtung auf alte Anleihen

Von Manfred Drennig

Gastkommentare

Was beim Wiederaufbau in der Corona-Krise (auch noch) dringend notwendig ist.


An Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen kann es kaum genug geben. Um auch deren Finanzierung irgendwie zu stemmen, nimmt die EU viel Geld in die Hand. Sehr, sehr viel Geld. Nur wird dabei zugleich ein anderes Problem noch viel größer. Denn es geht ja nicht nur um neues Geld. Es geht auch darum, was dann die alten Anleihen noch wert sind, die jetzt schon im Umlauf sind. Diese umfassen - so etwa bei einer Staatsschuld von 130 Prozent des Sozialproduktes wie in Italien - auch angesichts der riesigen Beträge, die jetzt zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona Krise ausgegeben werden, immer noch riesige Beträge.

Der Wert von Anleihen hängt natürlich stark von der Bonität der Schuldner ab. Damit kommen die Rating-Agenturen ins Spiel. Denn von Ihnen hängt es ab, wie die Bonität beurteilt wird. Die Europäische Zentralbank war bei ihren Ankäufen bisher daran gebunden, dass den Anleihen der jeweiligen Schuldner auch ausreichende Bonität, ein "Investment Grade", zuerkannt wurde. Die EZB hat sich allerdings gerade (beim Ankauf einer Griechenland-Anleihe) erstmals über diese Regelung hinweggesetzt und wird das wohl auch weiter tun.

Kriterien für Banken ändern

Andere große Investoren und viele Fonds können das nicht. Denn sie haben (wie etwa Banken und Versicherungen) gesetzliche Vorschriften oder (wie Fonds) eigene Richtlinien. Bei beiden spielt daher die ausreichende Bonität eine kritische Rolle. Für italienische Anleihen musste man schon vor der Corona-Krise um eine Anerkennung als "Investment Grade" zittern. Sollten sich aber die Rating-Agenturen nicht mehr trauen, Italien erneut diese Note zu geben, so käme es in der Folge zu massiven Verkäufen alter Anleihen durch all jene Investoren und Fonds, die nach den für sie geltenden Regeln Anleihen mangelnder Bonität gar nicht kaufen oder auch nur behalten dürfen. Schwere Verluste hätten dann all jene Sparer, denen man erzählt hat, Staatsanleihen wären sicherer als Aktien. Vorübergehend kann man solche Regeln außer Kraft setzen, aber nicht auf Dauer. Und nicht nur für Italien gilt: Die Bonität eines Staates wird dieser langfristig nur durch eine Budgetpolitik sicherstellen können, die Vertrauen in seine eigene Politik statt auf die Hilfe anderer schafft. Darum kommt man selbst durch gemeinsame Haftungen nicht auf Dauer herum.

Ein nicht geringeres Problem stellt sich bei den Banken. Seit der Finanzkrise 2008 unterliegt deren Kreditgeschäft strengen Bonitätskriterien. Das war sinnvoll, aber man kann sie in dieser Krise nicht aufrecht erhalten. Die Staaten können nicht alles stemmen, und die Kreditnachfrage seitens zahlloser Betriebe, denen jetzt ein paar Monate an Umsätzen wegbrechen, ist bereits heute europa-weit enorm. Die Banken haben tatsächlich derzeit bedeutend mehr Kapital als in der Hypothekarkrise 2008. Aber wenn man das bestehende Regelwerk selbst in einer solchen Krise nicht einmal vorübergehend lockert, dürfen sie genau solche Notstandskredite nicht vergeben und müssen stattdessen ihr Kapital zur Abschreibung von Wertpapierverlusten aufwenden. 2008 rettete man die Banken, um die produzierende Wirtschaft nicht zu schädigen. Nimmt man bei den aktuellen Regeln keine zeitweilige Änderung vor, dann schont man die Banken diesmal nicht zugunsten, sondern zu Lasten der Realwirtschaft.

Probleme rasch angehen

Derzeit überbieten die Wirtschaftsforschungsinstitute einander weltweit mit dramatischen Abstiegsszenarien, aber eine realistische Schätzung ist doch erst dann möglich, wenn man die Dauer der Corona-Krise kennt. Bescheidener, aber vernünftiger sind daher Schätzungen nicht absoluter Werte, sondern der Werte je Monat. Und da sind sich manche vorliegenden Schätzungen schon bedeutend ähnlicher. Die gemeinsame Stellungnahme der deutschen Wifo-Institute spricht von einem Verlust von 1,5 Prozent des Sozialprodukt je Monat im Lockdown. Die Schweizer Großbank UBS hat errechnet, dass ein auch nur annähernder Ersatz der Verdienstausfälle der durch Betriebsschließungen betroffenen Betriebe und deren Arbeitnehmer zwischen 1 und 2 Prozent des Sozialproduktes kosten werde, auch pro Monat.

Diese beiden Rechnungen passen gut zusammen und zeigen die Konsequenzen einer allfälligen längeren Dauer der Pandemie. Man wird sich rasch auch mit den hier genannten Problemen auseinander setzen müssen, auch wenn sie noch so langweilig technisch klingen, denn sonst funktionieren die ganzen Rettungspakete nicht.