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Kein Vertrauen in die Polizei

Von Ralph Schöllhammer

Gastkommentare

Die Ausschreitungen in den USA treffen oft gerade jene, in deren Namen lautstark gegen Rassismus und Polizeigewalt protestiert wird. Es braucht nicht weniger, sondern bessere Polizei.


Am 1. Juni hat Ex-US-Präsident Barack Obama einen Artikel in der Online-Zeitschrift "Medium" veröffentlicht, in dem er unter anderem schrieb: "Ich sah eine ältere schwarze Frau, die unter Tränen in einem Interview davon sprach, dass der einzige Supermarkt in ihrer Nachbarschaft zerstört worden war. Wenn es eine Lehre aus der jüngeren Vergangenheit gibt, dann, dass es wahrscheinlich Jahre dauert, bis dieses Geschäft zurückkommt."

Für viele andere Afroamerikaner hat sich die Zukunft in den vergangenen Wochen weiter verdüstert, und es ist nicht abzusehen, ob sich daran so schnell etwas ändern wird. Neben dem Rassismus und der allzu weitverbreiteten Polizeigewalt, gegen die zu Recht protestiert wird, haben leider oft gerade jene, in deren Namen man sich auf den Straßen versammelt, unter den Ausschreitungen zu leiden.

In Minneapolis sind beinahe 500 Geschäfte geplündert worden und ausgebrannt; Geschäfte, in die oftmals gerade die Angehörigen von Minderheiten ihre Ersparnisse und ihren Lebensmut gesteckt hatten. So plante etwa der afroamerikanische Feuerwehrmann Korboi Balla, im heurigen Sommer seine eigene Bar zu eröffnen. Nachdem zuerst Corona diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung machte, fand er nun nach einer Nachtschicht sein noch nicht einmal eröffnetes Lokal als Ruine vor. Ein weiterer Name, an den man sich erinnern sollte, ist der des 77-jährigen schwarzen Ex-Polizisten David Dorn. Dieser wurde von Plünderern erschossen, als er versuchte, das Geschäft eines Freundes zu verteidigen.

Weitere Verarmung der schwarzen Bevölkerung

Der Narrativ, die gewalttätige Seite würde nur Vertreter eines weißen und kapitalistischen Systems treffen, könnte von der Wirklichkeit nicht weiter entfernt sein. Es ist kein Zufall, dass vor allem schwarze Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wie Keisha Lance Bottoms in Atlanta oder Melvin Carter in St. Paul sich wesentlich vehementer gegen die Ausschreitungen aussprachen als beispielsweise der weiße Bürgermeister von New York City, Bill de Blasio.

Wahrscheinlich sind sich Carter und Bottoms bewusst, wer am Ende den größten wirtschaftlichen Schaden davontragen wird: das schwarze Amerika. Wie das National Bureau of Economic Research in mehreren Studien festgestellt hat, haben alle Rassenunruhen mittelfristig zu einer weiteren Verarmung der schwarzen Bevölkerung geführt. Geschäfte kommen nicht zurück, Jobs verschwinden, und - was womöglich am schwersten wiegt - wer es sich leisten kann, verlässt die betroffenen Gegenden, was zu einer weiteren Konzentration der Armut führt.

All das ist natürlich weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung für den Mord an George Floyd oder andere Fällen von Polizeigewalt wie jenen am 9. August 2014 in Ferguson (Missouri), wo ein weißer Polizist einen unbewaffneten Schwarzen erschoss, woraufhin in der Stadt immer wieder Unruhen ausbrachen. Aber der schwarzen Bevölkerung wird nicht geholfen sein, wenn man zusätzlich zur Bedrohung des Rassismus auch noch deren wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zerstört. Statt eines #blackouttuesday sehen sich hier viele mit einer dauerhaften #blackoutfuture konfrontiert.

Und auch was die Polizeigewalt betrifft, wird in den Medien öfter über die afroamerikanische Bevölkerung als mit ihr gesprochen. In Los Angeles wird darüber diskutiert, das Polizeibudget um fast 10 Prozent zu kürzen, gleiche Diskussionen finden in anderen Teilen des Landes statt. Die Stadtregierung in Minneapolis hat beschlossen, ihre lokale Polizei komplett aufzulösen - es ist jedoch fraglich, ob weniger Polizei tatsächlich zu weniger Gewalt führen wird.

Weniger Polizeipräsenzführt zu mehr Kriminalität

Roland Fryer, Ökonom an der Harvard University und selbst Afroamerikaner, hat sich wie kaum ein zweiter empirisch mit den Folgen und Ursachen von Polizeigewalt auseinandergesetzt. Im Gegensatz zur Politisierung versucht Fryer, mittels Daten Lösungen zu erarbeiten. Wie er feststellt, führt eine Absenz der Polizei in von Schwarzen bewohnten Gegenden zu einem extremen Anstieg der Mord- und Kriminalitätsrate, deren Opfer wiederum in erster Linie Afroamerikaner sind. Wer aus den Protesten also ableitet, ein Abschaffen der Polizei wäre die Lösung, würde in Wirklichkeit das Problem für jene wieder verschlimmern, denen man eigentlich helfen möchte. Wie Fryer feststellt, greift die Annahme, die Polizei wäre in erster Linie von Rassismus motiviert, zu kurz. 2016 kam er in einem Forschungsartikel zu Ergebnissen, die ihn selbst überraschten: Einer der Hauptgründe für die disproportional hohe Zahl an Opfern eines polizeilichen Schusswaffeneinsatzes ist die hohe Kriminalitätsrate in den sozioökonomisch abgehängten Regionen des schwarzen Amerikas. Und diese Kriminalitätsrate tendiert dazu, bei einer Absenz der Polizei zu steigen und nicht zu sinken.

Laut einer Studie hatten 2016 nur noch 55 Prozent aller Afroamerikaner Vertrauen in die Polizei, und dieser Mangel an Vertrauen hat laut Fryer weitreichende Konsequenzen. Obwohl das Bureau für Justice Statistics zeigt, dass in beinahe 90 Prozent der Fälle eines Polizeinotrufs durch Afroamerikaner diese mit dem Verhalten der Polizei zufrieden sind, hat das Vertrauen zwischen Polizei und schwarzer Bevölkerung so gelitten, dass Letztere als Opfer von Verbrechen sich immer weniger an die Polizei wenden. All das beschleunigt den Teufelskreis aus steigender Kriminalität und schwindenden wirtschaftlichen Chance.

Nicht jene abschrecken, die im Polizeidienst gebraucht würden

Diese Problematik hat aber noch weitreichendere Folgen, wie neben Fryer auch ein Forscherteam an der University of Maryland und der Michigan State University feststellte. Mit der steigenden Kriminalitätsrate erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes tödlicher Polizeigewalt, was wiederum zu disproportionalen Opfern in der schwarzen Bevölkerung führt.

Die Antwort auf das Problem wären nicht weniger, sondern bessere Polizei sowie ein Ende des Generalisierens aller Polizisten als Rassisten, da dadurch genau jene Menschen vom Polizeidienst abgeschreckt werden, die dort am dringendsten gebraucht würden. Ein anderes Problem sind die mächtigen Polizeigewerkschaften, die es oftmals unmöglich machen, gewalttätige Polizisten abzusetzen. Gegen den wegen Mordes an George Floyd angeklagten Beamten gab es seit 2012 bereits 13 Beschwerden, ohne dass diese jemals Konsequenzen nach sich gezogen hätten.

Dass noch nicht alle Hoffnung verloren ist, zeigt sich in kleinen Gesten, welche die USA möglicherweise vor der endgültigen Selbstzerstörung bewahren könnten. So wurden über Crowdfunding-Seiten bereits mehr als eine Million Dollar für Korboi Balla und andere gespendet - und zwar über alle Rassengrenzen hinweg.