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Nach dem Hammer wollen wir wieder tanzen

Von Hubert Nowak

Gastkommentare
Hubert Nowak war "ZiB"-Moderator sowie Leiter des ORF-Landesstudios Salzburg und von ORF 3sat.
© privat

Viele haben erwartet, dass die weltweite Corona-Krise unser Leben, die Politik, die Wirtschaft grundlegend verändern würde. Die jüngsten Erfahrungen nähren diese Hoffnung allerdings nicht.


Schnell versuchte man sich die Krise schönzureden: Jetzt würden sich die Menschen wenigstens von der Gigantomanie der vergangenen Jahrzehnte lösen. Jetzt endlich würden auch den verbohrtesten Kapitalisten die Nachteile der hemmungslosen Globalisierung einleuchten. Jetzt würden wir die Abhängigkeit von Produktionsmitteln in fernen Kontinenten beenden. Optimismus ist großartig. Naivität ist dumm.

Schon nach wenigen Wochen des Lockdowns, als die Regierung wieder erste Lockerungen der strengen Beschränkungen zuließ, dominierte allerorten der Wunsch nach völliger "Normalität". Nach dem, was vorher "normal" war. Klar, man wollte wieder einkaufen, sich zum Abendessen in einem guten Restaurant verabreden dürfen und keine Angst um den Job haben. Und sonst? Normal war bisher aber auch, billig T-Shirts aus Bangladesh zu beziehen, Medikamente in China produzieren zu lassen und Kartoffel von Italien nach Dänemark zum Waschen zu führen, um sie dann wieder in Italien zu verkaufen. Das soll sich jetzt aber doch ändern, bitte! Ein paar Wochen Beschränkungen müssten als Impuls doch ausreichen, oder?

Billigproduktion in Fernost

Dass ein Coronavirus die Lernfähigkeit des Menschen erhöht, hat bisher noch keine der vielen Studien ergeben. Wer glaubt denn im Ernst, dass nicht weiterhin in Fernost produziert wird, wenn das Stück von dort trotz Transportkosten um 1 Cent billiger ist als aus Europa? Das Gedächtnis, was Krisen anbelangt, ist ein kurzes. Sobald Covid-19 nicht mehr präsent ist, werden die guten Vorsätze, ab jetzt alles (naja, vielleicht wenigstens vieles) anders zu machen, vergessen sein. Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler, wie Ingeborg Bachmann sagte. Die Spanische Grippe, die ab 1918 weltweit rund 50 Millionen Tote hinterließ (manche Schätzungen gehen sogar bis zum Doppelten), hat die Ausgelassenheit der wilden 1920er keineswegs gebremst. Lebenshunger ignoriert Gefahr. Nebenbei: Die Spanische Grippe hatte ihren Ursprung in den USA, trotzdem nennt sie niemand Amerikanische Grippe. In Dankbarkeit dafür bezeichnet der US-Präsident Corona als "chinesisches Virus".

Wissenschafter (und auch Bill Gates 2015) haben schon länger vor einer Pandemie und den Folgen für unser hochsensibles vernetztes System gewarnt. Wirklich einkalkuliert haben das weder Weltwirtschaft noch Politik. Gier ignoriert Gefahr. Der Tourismus ist weltweit eingebrochen. Nicht nur Regionen, ganze Länder leben davon. Natürlich wünschen sie sich wieder volle Hotels. Venedig stöhnte ob der Menschenmassen. Jetzt hätte man gerne wieder ein paar Kreuzfahrtschiffe in der Lagune. Fluglinien werden mit Steuermillionen vor dem Ruin gerettet, damit alles wieder so wird wie vorher. Die Sorge vor dem Existenzverlust will nicht wahrhaben, dass der Irrsinn mit Billigflügen den Globus längst überhitzt hat. Angst ignoriert Gefahr.

Zwar sind in Salzburgs Getreidegasse wieder mehr Einheimische zu sehen als früher, und Hallstadt ohne Masken tragende und schnell fotografierende Touristenmassen aus Fernost ist jetzt eine besondere Attraktion für Österreicher geworden. Der Inlandstourismus, früher Sommerfrische genannt, könnte ein Krisengewinner sein. Kurzfristig. Aber schon jammert man in Zell am See, dass Niqabs und Burkas kein Geld mehr bringen. Und in Ischgl wirbt man bereits wieder um die (angesteckten) Gäste, die doch bitte nicht nachtragend sein sollen!

Schrei nach staatlicher Hilfe

Ein paar Wochen Beschränkungen werden die Welt nicht umkrempeln. Sobald ein Medikament und ein Impfstoff die Sorgenfalten glätten, wird der Planet wieder so tanzen (wollen), wie nach der Spanischen Grippe. Unternehmen und Behörden werden draufgekommen sein, dass man nicht zu jeder Besprechung eine Dienstreise braucht, kleine Händler werden erfahren haben, dass man Amazon & Co. nicht völlig paralysiert und kampflos das Feld überlassen muss, Schulen und Unis werden gelernt haben, dass die digitale Welt zumindest für Teilbereiche Vorteile bringt. Ein Teil dessen, wohin wir jetzt ausgewichen sind, wird Normalität. Auch werden wir uns, eine Zeitlang, an Distanz gewöhnen. Der Bussi-Bussi-Alltag ist passé. Und trotz aller heftig verlangten Lockerungen werden jetzt Lokale und Geschäfte keineswegs gestürmt - ist das der Anfang einer neuen Bescheidenheit?

Stattdessen gibt es kaum eine Branche oder Berufsgruppe, die nicht nach noch mehr staatlicher Hilfe schreit. Der Gedanke, dass der Staat wir alle sind und Hilfsleistung für die einen eine Belastung für die anderen wird, also schlicht eine Umverteilung über den Umweg von Schulden, spielt dabei keine Rolle. Rette sich, wer kann. Klar, denn die Rezession könnte der größte Einbruch seit den 1930ern werden.

Riesen als Krisengewinner

Kanzler Sebastian Kurz brachte den Begriff des "Comebacks" ins Spiel. Das klingt besser als "Wiederaufbau". Aber kann man das rechte Maß dafür verordnen? Wohl kaum. Regionalisierung hört sich jetzt gut an, aber die Globalisierung wird nicht gebremst, im Gegenteil. Die Wirtschaftskrise wird die Kleinen zum Fraß für die Großen machen. Die Konzentration auf die Riesen wird zunehmen. Amazon ist der Krisengewinner schlechthin, auch wenn viele kleinere Händler jetzt munter geworden sind. Hier lenkend einzugreifen, wäre die Aufgabe starker Politik. Da freilich ist Vorsicht geboten, schon jetzt gibt es Sorge um Privatsphäre und Demokratie. Der Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition war ohnedies nur kurz, schon wird wieder prinzipiell alles für schlecht befunden, was von der anderen Seite kommt.

Bleiben wird nur die Erinnerung

Die alten Gleise liegen also noch, in der Politik und in der Wirtschaft. Eine globale Solidarität zu großen Änderungen ist ebenso wenig zu erwarten wie eine plötzliche europäische Einigkeit. Covid-19 wird zu einer Episode der Geschichte schrumpfen. Dieses Virus ist jetzt ein Hammer für die Welt. Aber bleiben wird nur die Erinnerung an eine Zeit, wo man auch ohne Umarmungen Nähe suchte, wo man nach konjunktureller Überhitzung in Tourismus, Handel und Industrie kurz über die Suche nach dem rechten Maß nachdachte. "Small is beautiful", das Credo des Salzburger Philosophen Leopold Kohr, wird auch vom Virus nicht gestützt, wenn die Menschen es nicht aus dem Inneren heraus wollen.

Der US-Autor Tomas Pueyo prognostizierte, das Virus selbst werde nach einem massiven Hammerschlag zur Niederschlagung der Pandemie mit rigiden Beschränkungen weltweit innerhalb von 18 Monaten in kleineren Wellen immer wieder kommen, also mit uns tanzen. Und wir müssen mit ihm tanzen. Selbst der Hammer wird den Tanz nicht erschlagen. Das gilt für das Virus. Und für den Menschen. Man könnte die Krise als Chance sehen, einiges in unserer Kommunikation, in der Politik und in der Wirtschaft zu ändern. Es ist zu befürchten, dass aber nur das geändert wird, was absolut unvermeidlich ist. Denn so wie wir gebaut sind, werden wir alles daran setzen, die Beule des Hammerschlags zu verdrängen, notfalls auch zu überschminken, um möglichst schnell wieder zum Tanz zu kommen.•