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Die wahre italienische Krankheit

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Zur Lösung des größten Problems bräuchte es eine Art Geberländer-Troika.


Ältere Italiener erinnern sich mit Wehmut an einen Augenblick, der in die Geschichte ihres Landes als "Il Sorpasso" einging, also "das Überholen". Überholt hatten die Italiener um 1980 herum tatsächlich Großbritannien, und zwar bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf, also einer wichtigen Maßzahl. Heute ist das nur noch ein kurioses Stück Historie, die Briten liegen derzeit mit einem BIP von etwa 43.000 US-Dollar pro Kopf meilenweit vor Italien mit 34.500 Dollar (zum Vergleich: in Österreich sind es 51.000 Dollar)

Und weil Italien heute nicht nur ökonomisch rückständig, sondern zu einem echten Sanierungsfall geworden ist, an dem der Euro zerbrechen könnte, falls es besonders blöd kommt, stellt sich eine ganz simple Frage: Was ist eigentlich mit Italien los? Und was müsste geschehen, um dieses Problem zu lösen?

Ganz aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, wie die politischen Eliten des Landes unlängst auf die Forderung einiger deutscher Politiker reagiert haben, Finanzhilfen für den europäischen Süden an die Umsetzung bestimmter Reformen zu knüpfen und dies, wie etwa bei Griechenland, durch Aufseher der Geberländer - also eine Art Troika - kontrollieren zu lassen. Das sei absolut inakzeptabel, war man sich in Rom völlig einig.

Man kann das gut verstehen. Denn allen Beteiligten ist klar: Italiens zentrales Problem sind seine politische Klasse und die Art und Weise, wie diese parteiübergreifend jeden sinnvollen Umbau des Staates aus Eigennutz blockiert. Ein Zustand, der deshalb so fatal stabil ist, weil erhebliche Teile der italienischen Gesellschaft privat davon profitieren: eine umgangene Steuer hier, ein Protektionsjob da, ein unbürokratisch vergebener Auftrag dort oder ähnliche kleine Benefits eines dysfunktionalen Systems.

Dabei wäre Italien grundsätzlich zu ökonomischen Höchstleistungen fähig. "Ausgebremst wurden die fleißigen, gescheiten, eleganten Italiener aber durch ihre eigenen - schlechten - Institutionen" hat der Schweizer Ökonom und Publizist Beat Kapeller punktgenau beobachtet. "Die Schulen leisten gemäß den Pisa-Auswertungen nichts Besonderes; keine größeren, regelmäßigen Durchbrüche sind aus den Universitäten zu melden. Die klügsten Köpfe wandern aus und finden sich in amerikanischen Elite-Universitäten. Ein Drittel der an italienischen Universitäten lehrenden Professoren sind jeweils untereinander verwandt, der Wettbewerb um die Posten scheint nicht mit akademischen Leistungen ausgefochten zu werden." (Zitat: Austrian Institute of Economics and Social Philosophy, Mai 2020)

So verhält es sich in vielen Bereiche des Lebens in Italien - mit dem Ergebnis, dass das Land bei fast allen Zukunftstechnologien hoffnungslos abgehängt ist: keine Informationstechnik, kaum Biotechnik, keine Internetfirmen; dafür eine seit Jahren insolvente und nun wieder staatliche Alitalia und ein riesiges, ebenfalls staatliches und kaputtes Stahlwerk bei Tarent, dessen 20.000 Mitarbeiter trotz Defacto-Pleite nicht gekündigt werden können.

Italiens politische Klasse weiß, warum sie eine Troika scheut wie der Teufel das Weihwasser: weil wahrscheinlich nur eine temporäre Teilentmündigung Italiens jenen radikalen Umbau bewirken könnte, der so bitter nötig wäre.