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Wirtschaftsindikatoren in der Corona-Krise

Von Christian Nemeth

Gastkommentare
Christian Nemeth ist Chief Investment Officer und Mitglied des Vorstands der Zürcher Kantonalbank Österreich AG.
© Zürcher Kantonalbank

Hochfrequente Daten als Fieberthermometer der Weltkonjunktur.


Spätestens seit dem Tiefpunkt im April besteht kein Zweifel, dass die Weltwirtschaft in Folge des Corona-Lockdown so stark schrumpfen wird wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Zürcher Kantonalbank geht von einem Rückgang des globalen BIP um 4,5 Prozent im Jahr 2020 aus. Nachdem die Prognosen mehrmals nach unten korrigiert werden mussten, ist nun erstmals ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Seit Mai setzen viele Länder auf schrittweise Lockerungen. Auch die Konsumenten sind vielerorts wieder optimistischer. Die erwartungsgemäß im zweiten Halbjahr spürbare Konjunkturerholung ist auf einem guten Weg, die Prognoserisiken sind erstmals seit Auftreten des Coronavirus nicht mehr einseitig nach unten gerichtet. Einige Risiken bleiben vorerst aber bestehen: Die USA, Brasilien oder Russland kämpfen noch mit hohen Infektionszahlen, eine zweite Infektionswelle ist nicht auszuschließen. Es drohen mehr Firmenpleiten oder eine dauerhaft höhere Arbeitslosigkeit.

Trotzdem: Hatten die Aktienmärkte zu Beginn der weltweiten Krise auch aufgrund von Panikreaktionen im März mit Rekordverlusten zu kämpfen, sind die aktuellen Konjunkturdaten für die Börsenkurse kaum noch relevant. Die Investoren zeigen sich offenbar trotz der ernüchternden Wirtschaftssituation optimistisch und setzen auf eine fortgesetzte Regeneration der Wirtschaft und steigende Aktienkurse im weiteren Jahresverlauf. Die Erholung der meisten Aktienindizes seit den Tiefständen im März beträgt 20 bis mehr als 40 Prozent. Asset Manager verfolgen die Entwicklung akribisch mit und ziehen für ihre Analysen Indikatoren verschiedener Art heran. In der aktuellen Umbruchphase zwischen Lockdown und Öffnung ist eine extreme Spreizung zwischen der Bewertung der aktuellen und jener der zukünftigen Situation zu beobachten. Daher wird das Augenmerk verstärkt auf alternative Teilindikatoren gelegt.

Hochfrequente Daten erlauben - beinahe in Echtzeit - Rückschlüsse auf aktuelle Entwicklungen. So lassen sich etwa Veränderungen in Bezug auf Wirtschaftsaktivitäten zeitnah nachvollziehen, womit traditionelle Indikatoren nicht dienen können. Viele klassische Ansatzpunkte wie Auftragseingänge oder Einkaufsmanagerindizes sind derzeit zu wenig aussagekräftig, um kurzfristige Trends widerzuspiegeln. Damit sind nicht nur die Infektionsraten gemeint. Die US-Stromproduktion etwa gibt Aufschluss über den Energiebedarf der US-Volkswirtschaft und somit auch über die Aktivität energieintensiver Unternehmen ist. Daten über Sicherheitskontrollen von US-Reisenden durch die Transportation Security Administration bilden Reisebewegungen ab. Daten von Reservierungssystemen wie "Open Table" wiederum lassen Rückschlüsse auf die Entwicklung der nun wieder hochfahrenden Gastronomie zu.

Diese verschiedenen anonymisierten Daten werden jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern fließen in all ihrer Breite in die Gesamtbeurteilung ein. Finanzprofis bekommen so ein adäquates Werkzeug zur Lageeinschätzung in die Hand. Alternative Teilindikatoren werden auch in den kommenden Monaten wichtige Wegbegleiter sein. Nach Ende der Krise werden traditionelle Indikatoren wieder mehr in den Vordergrund treten. Dennoch werden hochfrequente Daten wohl länger wichtig bleiben.