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Was das Schuldenmonster bändigt

Von Christian Kopf

Gastkommentare

Die Corona-Pandemie treibt weltweit die Staatsverschuldung in die Höhe. Das Problem dürfte in den Schwellenländern begrenzt bleiben - aber drohen Industrieländern Staatspleiten?


Die Sorgen vor einer Schuldenkrise kochen im Vorfeld der Konferenz des Europäischen Rates am 19. Juni 2020 hoch. Im Fokus stehen dabei oft Schwellenländer wie etwa Argentinien, Sambia oder Venezuela. Zahlungsausfälle sind hier in einigen Fällen tatsächlich denkbar. Dabei wird übersehen: Das Problem dürfte in den Emerging Markets tatsächlich begrenzt bleiben, nur rund 4 Prozent der umlaufenden Staatsanleihen von Schwellenländern in Hartwährungen sollten in naher Zukunft von Umschuldungen betroffen sein. Doch was ist mit den Industrieländern, in denen die Schuldenrekorde purzeln? Drohen erneute Staatspleiten wie 2012 in Griechenland?

Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigen, dass sich die Staatsverschuldung durch die Kombination aus Konjunktureinbruch und steigenden Haushaltsdefiziten in vielen Ländern markant erhöhen wird. Im Durchschnitt rechnet der IWF für die entwickelten Volkswirtschaften bis Ende 2021 mit einem Anstieg der Staatsverschuldung um 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Besonders hohe Kredite dürfte die US-Regierung aufnehmen - hier liegt die Prognose der Schuldenquote für 2021 bei 132 Prozent des BIP, 23 Prozent höher als vor Ausbruch der Corona-Pandemie.

Vergleichsweise gering sollte die Neuverschuldung hingegen in der Eurozone ausfallen und so die Staatsverschuldung im Durchschnitt um "nur" 11 Prozent auf 96 Prozent des BIP anheben. Aber auch in der Eurozone gibt es Länder mit notorisch hoher Staatsverschuldung wie Italien oder Griechenland. Werden die Staatsschulden in diesen Industriestaaten immer weiter ansteigen, bis sie irgendwann nicht mehr tragfähig sind?

Niedrige Zinsen helfengegen Schuldenexplosion

Vier Faktoren bestimmen, ob die Schuldenquote unter Kontrolle gebracht werden kann: die Wachstumsrate des Sozialprodukts, die Inflation, die Höhe der Kapitalmarktzinsen und die Haushaltsführung des Staates.

Von einer sparsamen Haushaltsführung sind die meisten Staaten weit entfernt. Wenn der IWF mit seinen Prognosen recht behält, wird es auch in zwei Jahren kaum ein Land geben, dessen Staatshaushalt vor Zinszahlungen einen Überschuss ausweist. Auch für Deutschland zeichnet sich in der Haushaltsbilanz vor dem Schuldendienst, dem sogenannten Primärsaldo des Staates, ein leichtes Defizit ab.

Auf hohes Wirtschaftswachstum zur Bändigung der Schuldenlast werden die Industriestaaten ebenfalls wenig Hoffnung setzen können, denn dafür fehlen wegen der alternden Bevölkerung und des bereits sehr hohen Produktivitätsniveaus bei uns die Voraussetzungen. Zudem schaffen es die Notenbanken seit Jahren nicht, die Inflation wieder anzukurbeln.

Die gute Nachricht ist: Bei den aktuell niedrigen Zinsen müssen die meisten Staaten trotz deutlich angestiegener Schuldenquote nur geringe Anstrengungen unternehmen, um eine Explosion der Staatsverschuldung zu stoppen. Anders als noch vor 20 Jahren brauchen wir keine hohen Wachstumsraten mehr, um das Monster steigender Staatsverschuldung zu bändigen. Denn die Kapitalmarktrenditen sind mittlerweile stark gefallen. Im Durchschnitt liegen die Zinsen, die Industrieländer auf ihre Staatsschulden leisten müssen, derzeit bei zwei Prozent oder weniger. Der deutsche Staat etwa zahlt im Schnitt sogar nur 0,6 Prozent Zinsen auf den Gesamtbestand der umlaufenden Bundesanleihen.

Bei den aktuell niedrigen Marktzinsen werden die meisten Staaten trotz deutlich angestiegener Schuldenquoten nur eine geringe Sparanstrengung unternehmen müssen, um eine Explosion der Staatsverschuldung zu stoppen. Das zeigt die Schuldentragfähigkeitsanalyse von Union Investment. Fast alle entwickelten Volkswirtschaften haben zwar eine Tragfähigkeitslücke in ihrer Staatsverschuldung. Daher werden diese Länder ihr Steueraufkommen erhöhen oder ihre Staatsausgaben senken müssen, um einen weiteren Anstieg ihrer Verschuldung zu verhindern.

Weil die Zinsen so niedrig sind, liegt die notwendige Sparanstrengung zur Schuldenstabilisierung für die meisten Länder nur bei 2 Prozent des BIP, bei Italien sogar nur bei 1 Prozent des BIP. Das könnte machbar sein. Vor größeren Herausforderungen stehen die USA und Australien sowie Frankreich und Spanien - diese Länder bräuchten eine Verbesserung des Staatshaushalts um 3 bis 5 Prozent des BIP. In Portugal hingegen sollte der Trend zur Entschuldung bald wieder einsetzen, da der Staat äußerst sparsam wirtschaftet.

Was geschieht nun mit den Staatsanleihen, wenn die Länder diese Haushaltsanpassungen nicht vornehmen und die Schuldenquoten weiter ansteigen? Hohe Schulden allein sind kein Menetekel, dass eine Volkswirtschaft automatisch in Schwierigkeiten kommt. Dies zeigt der Unterschied zwischen Italien und Japan, beides hoch verschuldete Länder. Die Verschuldungsquote des italienischen Staates sollte bald 150 Prozent des BIP erreichen, in Japan liegt sie schon nahe an 250 Prozent. Am Kapitalmarkt werden die Länder aber sehr unterschiedlich beurteilt. In der Corona-Krise sind die Renditen italienischer Staatsanleihen markant gestiegen, bei Japan war dies nicht der Fall.

Währungsregime beeinflusst Schuldentragfähigkeit

Denn neben der Entwicklung der Schuldenquote ist das Währungsregime entscheidend für die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung. Anders als Italien verfügt beispielsweise Japan über eine eigene Währung und eine eigene Notenbank, die derzeit sogar Obergrenzen für die Marktrenditen festlegt. Dadurch sind japanische Staatsanleihen die sicherste Anlage in Landeswährung und bleiben dies auch bei steigender Staatsverschuldung. Wenn Italien seine Staatsverschuldung jedoch nicht in den Griff bekommt, können die Anleger in die Anleihen anderer Mitgliedstaaten der Eurozone ausweichen und so Marktturbulenzen auslösen. Erst die Vorschläge für einen europäischen Wiederaufbaufonds mit Transferzahlungen haben daher die Spannungen am Kapitalmarkt für Italien reduziert. Gleichzeitig haben Japan und die USA kaum Probleme, ihre horrende Staatsverschuldung zu sehr niedrigen Zinsen zu finanzieren.

Attraktive Anleihenaus der Eurozone

Aus Investorensicht gilt es in der Beurteilung der Schuldenproblematik einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn ein Staat sich in einer Währung verschuldet, die er über eine eigene Zentralbank kontrolliert, sollte auch bei weiter steigender Verschuldung kein Zahlungsausfall drohen. Dies gilt für Japan, die USA, Großbritannien oder Australien. Aus Investorensicht sind die größten Risiken bei Staatsanleihen dieser Länder Inflation und Währungsabwertung.

Die Länder der Eurozone können trotz deutlich angestiegener Schuldenquoten das Vertrauen der Anleger gewinnen, wenn es ihnen gelingt, ihre Schuldendynamik mittelfristig unter Kontrolle zu bringen. Unabdingbar sind dafür anhaltend niedrige Leitzinsen der Europäischen Zentralbank und eine politische Bereitschaft, die Haushaltsdefizite auf Ebene der Mitgliedstaaten mittelfristig zurückzufahren. Wenn beides gegeben ist, werden Anleihen aus der Peripherie der Eurozone zu einer attraktiven Anlage.