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Wählerisch zu sein, ist das Gebot der Stunde

Von Martin Selmayr

Gastkommentare

Europas Unternehmen und der Umgang mit Direktinvestitionen aus Drittstaaten.


"Darum prüfe, wer sich ewig bindet", schreibt Friedrich Schiller im Lied von der Glocke. Diese Weisheit aus dem Privatleben hat auch für die europäische Wirtschaft Gültigkeit. Die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit verstärkt, bei Direktinvestoren aus Drittstaaten wählerisch zu sein und Beteiligungen an europäischen Unternehmen einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Infolge des Wirtschaftseinbruchs ist die Kapitaldecke vieler Unternehmen geschwächt, was sie zu einem Ziel für Übernahmen macht. Die EU ist gefordert, strategisch wichtige Einrichtungen zu schützen. Dabei geht es keineswegs darum, der Globalisierung den Rücken zu kehren und sich abzuschotten. Das ist weder wünschenswert noch wäre es machbar. Die internationale Arbeitsteilung hat viel zu unserem Wohlstand beigetragen und die Lebensbedingungen von Hunderten Millionen Menschen rund um den Erdball verbessert. Dieser Weg war der richtige und wir werden ihn weiter beschreiten, allerdings wird die Europäische Kommission die ausgesetzten und rutschigen Stellen künftig besser absichern.

Konkret müssen wir sicherstellen, dass Verkäufe von Unternehmen an natürliche oder juristische Personen aus Drittstaaten weder unsere Sicherheit noch die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Strategische Einheiten, deren Ausfall, Verlust oder Vernichtung Schaden für die europäische Bevölkerung nach sich ziehen würde, müssen im Einflussbereich der europäischen Wirtschaftspolitik verbleiben. Daher hat die EU bereits im März 2019 eine Verordnung verabschiedet, die auf kritische Strukturen und Technologien abstellt; dazu zählen beispielsweise Energie, Verkehr, Wasser, der Gesundheitsbereich, Medien, Datenverarbeitung, Luft- und Raumfahrt und selbstverständlich militärische und zivile Verteidigung. Nano- und Biotechnologie werden für unsere Zukunft ebenso entscheidend sein wie künstliche Intelligenz und Robotik. Hier müssen wir Kapazitäten zur Versorgung der europäischen Bevölkerung sicherstellen. Dabei geht es nicht nur um etablierte Großunternehmen, sondern auch um Klein- und Mittelbetriebe, die oftmals eine wichtige Rolle für Forschung und Entwicklung spielen.

Gemeinsamer Rahmen für die Genehmigung von Investitionen

Die EU-Verordnung ändert nichts daran, dass der jeweilige Mitgliedstaat entscheidet, ob er eine Investition genehmigt. Allerdings sollen sich die anzulegenden Kriterien innerhalb eines gemeinsamen Rahmens annähern. Wichtiger und zentraler Punkt der Verordnung ist, dass fortan das Interesse anderer EU-Staaten in die Entscheidung einfließen wird: Ein Kooperationsmechanismus verpflichtet den Staat, in dem sich das Objekt der kaufmännischen Begierde befindet, die Europäische Kommission und alle anderen 26 Mitgliedstaaten über ein konkretes Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Dabei sind Informationen über die Eigentümerstrukturen, über die Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsvorgänge beider Unternehmen sowie über die geplante Finanzierung des Kaufs zu übermitteln. Jeder Mitgliedstaat und auch die Europäische Kommission können dazu Stellung nehmen, ob der geplante Vorgang die Sicherheit und öffentliche Ordnung beeinflussen könnte. Erst danach darf die Entscheidung fallen.

Um einen reibungslosen Informationsaustausch sicherzustellen, sind bis 11. Oktober 2020 nationale Kontaktstellen einzurichten. In Österreich ist das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort zuständig. Um sich für diese Aufgabe zu rüsten, hat das Ministerium kürzlich seinen Vorschlag zu einem Investitionskontrollgesetz eingebracht, der noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Gesetzgeber angenommen werden soll.

Die öffentliche Diskussion zur Investitionskontrolle war in Österreich bestenfalls verhalten, hinter den Kulissen fand jedoch ein reger Austausch statt. Denn die Investitionskontrolle ist nicht nur aus volkswirtschaftlichen, sondern auch aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten relevant. Sie schränkt den Handlungsspielraum der Unternehmenseigentümer ein, schließlich birgt eine behördliche Limitierung der Nachfrage das Risiko eines geringeren Verkaufserlöses. Es ist wichtig, dass die endgültige Fassung des Gesetzes die berechtigten Interessen aller betroffenen Parteien berücksichtigt.

EU-Binnenmarkt darf nicht von Drittstaaten verzerrt werden

Die Europäische Kommission setzt indes weitere Schritte, um ihrer Verantwortung für Unternehmen und den europäischen Wirtschaftsstandort gerecht zu werden. Sie hat diese Woche ein Diskussionspapier mit Instrumenten präsentiert, die sicherstellen sollen, dass Subventionen aus Drittstaaten den EU-Binnenmarkt nicht verzerren. Eine öffentliche Konsultation zu dem Thema läuft. Unser Binnenmarkt soll selbstverständlich zugänglich bleiben, aber wir müssen wachsam sein. Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn Drittstaaten Unternehmen mittels Beihilfen einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber EU-Akteuren verschaffen.

Der gemeinsame Markt ist die Basis für Wohlstand in der EU. Er bietet Unternehmen faire Chancen und Geschäftsmöglichkeiten von Estland bis Portugal. Den Konsumenten sichert er größtmögliche Auswahl und faire Preise. Investitions- und Subventionskontrolle gehen Hand in Hand. Wir müssen sie vernünftig einsetzen, zum Wohle unserer Wettbewerbsfähigkeit und unseres Gesellschaftsmodells. Naivität können wir uns derzeit weniger leisten denn je.