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Die EZB sitzt bei den Zinsen in der EU-Schuldenfalle

Von Christoph Starzer

Gastkommentare
Christoph Starzer war unter anderem Leiter der Deutsche Bank Salzburg und Vorstandsmitglied der nunmehrigen Zürcher Kantonalbank in Salzburg. 2006 gründete er die ausschließlich honorarbasierte und nicht aus Provisionen finanzierte Ethos Vermögensverwaltung GmbH. privat

Ein Zinsniveau wie vor der Krise 2008 ist derzeit praktisch unmöglich.


Wahre Gestaltungsmöglichkeiten sehen anders aus: Die Europäische Zentralbank hat unter der Leitung des Ex-Goldman-Sachs-Bankers Mario Draghi, der zu Jahresbeginn für seine Verdienste das deutschen Bundesverdienstkreuz erhielt, Weichen gestellt, die sie am Ende zum Erfüllungsgehilfen zügelloser Staatsbudgets machen: Je höher die Verschuldung der Euroländer steigt, desto weniger können sich diese höhere Zinsen leisten. Eine fatale Wechselwirkung, die kaum aufgehoben werden kann. Ein Ausweg aus diesem klassischen Dilemma läge in einem Schuldenschnitt, also einem Schuldenerlass, wie er in der Privatwirtschaft im Fall eines Ausgleichs vorgesehen ist. Dabei verzichten Gläubiger auf erhebliche Teile ihrer Forderungen. Damit verbunden wären neben einem Ansehensverlust unserer Währung von ungeahntem Ausmaß auch Verwerfungen an den Rentenmärkten, die das gesamte europäische Finanzsystem destabilisieren würden. Was das bedeutet, erfuhren wir 2008, diesmal aber wären die Auswirkungen noch weit dramatischer.

Nur eine kluge Lösung, ohne Vertrauensverlust und ohne eine damit einhergehende Finanzkrise, könnte den überschuldeten Mittelmeer-Anrainern in der Eurozone jenen Handlungsspielraum verschaffen, den sie für eine nachhaltige Erholung ihrer Staatsfinanzen dringend benötigen. Die dafür notwendige Entlastungszahlung könnte aus Gewinnen der EZB durch Investitionen in die europäischen Aktienmärkte finanziert werden. Sie könnte zum Beispiel börsennotierte Indexfonds erwerben und so lange halten, bis deren Gewinne entsprechende Dimensionen erreicht haben.

Solange aber die Staatsverschuldung nicht deutlich sinkt, würden steigende Zinsen die Lage nur zusätzlich erschweren, da diese ja erst erarbeitet werden müssten. Unter den gegebenen Verhältnissen ist es für die EZB praktisch unmöglich, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, das noch vor der Finanzkrise 2008 marktüblich war: Der wichtige 3-Monats-Euribor-Zins lag 2007 noch knapp unter 5 Prozent.

Mit großer Wahrscheinlichkeit können wir davon ausgehen, dass die Zinsen in der Eurozone noch über viele Jahre auf niedrigstem Niveau gehalten werden. Das macht Investitionen schneller rentabel als in Zeiten mit höheren Zinsen. Investitionen, die von niedrigen Zinsen profitieren, sind aber nicht nur beispielsweise die Erweiterung privater Industrieanlagen, Investitionen in das Schienennetz oder die Anschaffung moderner Lehrmittel für unsere Universitäten. Zu Investitionen, die ihren Anschaffungswert schneller erwirtschaften, zählen ebenso Aktien, die sich Privatpersonen für ihre Pensionsaufbesserung anschaffen. Von der Aussicht langfristig niedrigster Euro-Zinsen werden auch europäische Unternehmen profitieren, weil ihre Kapitalkosten niedrig bleiben und ihre unternehmerischen Investitionen nicht erst einmal hohe Finanzierungskosten (Zinsen) verdienen müssen, bevor sie sich lohnen. Die zinspolitische Selbstlähmung der EZB hat so lange ihre positiven Nebenwirkungen, als man eine minimalinvasive Entlastung der überschuldeten Euroländer vor sich herschiebt. Erst nach einer Teilentschuldung dieser Länder hat die EZB wieder den Gestaltungsspielraum, den sie dringend brauchen würde.