Zum Hauptinhalt springen

Verschwedete Debattenmüh

Von Georg Bauer

Gastkommentare
Georg Bauer ist Skandinavist, Historiker und Menschenrechtsaktivist. Er ist als Universitätsassistent an der Uni Wien tätig.
© privat

Beim viel debattierten schwedischen Weg wurde und wird vieles falsch verstanden - vor allem lenkt es von viel wichtigeren Diskussionen ab.


Zunächst sei festgestellt, dass Schwedens Behörden und Regierung durchaus Maßnahmen gesetzt haben, und zwar einen Mix aus behördlichen Empfehlungen und verpflichtenden Vorschriften. Dadurch wurden etwa nicht nur Versammlungen auf 50 Teilnehmer beschränkt, sondern auch die meisten Nachtklubs sperrten zu; Grundschulen (für Ein- bis Neunjährige) blieben offen, alles darüber stellte allerdings auf Distanzunterricht um. Diese Maßnahmen kamen von der zuständigen Behörde, deren Vertreter kaum mit Kritikern interagieren, sich oft selbst widersprechen und ungern Fehler eingestehen.

Das Ziel war, die Infektionskurve abzuflachen, also das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und Risikogruppen besonders zu schützen. Doch trotz dieser scheinbaren Ähnlichkeit zu anderen Ländern, die Schwedens Regierung nun hervorzuheben versucht, gibt es einen essenziellen Unterschied in der Zielsetzung: Während strenge Lockdowns Teil einer Suppressionsstrategie sind, die darauf abzielt, die Ausbreitung des Virus auf ein absolutes Minimum hinunterzudrücken, um sie dann kontrollieren zu können, wählte Schweden eine Mitigationsstrategie, die die Ausbreitung zwar verlangsamen, aber nicht komplett unterdrücken will. Ob damit letztlich auch eine Herdenimmunität erreicht werden sollte, ist unklar, scheint aber aufgrund zahlreicher Aussagen der Behörden wahrscheinlich.

Das Resultat: mehr als 5.200 Tote; quasi gleiche wirtschaftliche Folgen wie in Resteuropa; keine Herdenimmunität; mittlerweile stärkere Einschränkungen, besonders für Risikogruppen, als in vielen anderen Ländern; zwar kein Kollaps des Gesundheitssystems, aber immer mehr Berichte darüber, dass Menschen nicht auf Intensivstationen aufgenommen wurden; ein enormer Rückstau von bis zu 200.000 unbestimmt verschobenen Operationen womöglich bis Jahresende; Contact Tracing ist kaum möglich, die Verbreitung nicht unter Kontrolle, weswegen Schweden auch selbst von innernordischen Grenzöffnungen ausgeschlossen bleibt.

Besonders der letzte Punkt zeigt, warum eine Debatte über den schwedischen Weg wenig Sinn macht, denn von diesem können wir für unsere aktuelle Situation fast nichts lernen. Es gilt hier nun, lokale Ausbrüche und neue Ansteckungsketten möglichst schnell zu erkennen und zu unterdrücken, was in Schweden nicht möglich ist. Trotz mittlerweile höherer Testzahlen sind dort mehr als 11 Prozent der Tests positiv (Österreich: 0,5 Prozent).

Auch für künftige Pandemien ist Schwedens Weg wenig hilfreich. Denn dort wie hier wurde viel zu spät reagiert. Um zu sehen, wie zukünftige Pandemien zu verhindern sind, sollten wir vielmehr nach Taiwan oder Hongkong blicken. Frühes Erkennen der Gefahr, rasche Einreisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen bewahrten die dortigen Gesellschaften vor Mitigations- wie Suppressionsstrategie. Soll das bei uns auch gelingen, führt künftig an einem EU-Plan, der ähnliche Maßnahmen setzen kann, kein Weg vorbei.

Eine detaillierte Analyse zum schwedischen Weg hat Georg Bauer auf www.wolfgangschmale.eu veröffentlicht.