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Der Rettung eine Richtung geben

Von Hans Holzinger

Gastkommentare

Wenn es kein Wachstum mehr gibt, brauchen wir eine bessere Verteilung für soziale Ausgewogenheit.


Moderne Konsumgesellschaften funktionieren nach dem Prinzip, dass wir mit unserer Kaufkraft voneinander Produkte und Dienstleistungen erstehen. Je höher der materielle Wohlstand, desto höher wird der Anteil der Dienstleistungen. Er beträgt in den reichen Volkswirtschaften mittlerweile 70 bis 80 Prozent der Wertschöpfung. Die Wirtschaft floriert, wenn es genügend Menschen mit ausreichender Kaufkraft gibt, die Güter nachfragen. Lahmt diese Nachfrage, muss der Staat nachhelfen, so die Grundidee von John Maynard Keynes. Da das in Umlauf gebrachte Geld in der Wirtschaft zirkuliert, potenziert es seine Wirkung. Man spricht vom Hebeleffekt.

In der Pandemie ist nun zweierlei passiert: Zum einen traten jene Tätigkeiten in den Mittelpunkt, auf die in der Krise nicht verzichtet werden konnte. "Systemrelevant" waren plötzlich nicht mehr jene Banken, die zu groß waren, um sie in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren der Pleite überlassen zu können, sondern Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern, Pflegekräfte, Angestellte im Lebensmittelhandel, Sicherheits- und Reinigungskräfte. Jene Jobs, die in Österreich zu zwei Dritteln von Frauen verrichtet werden und einen hohen Migrantenanteil aufweisen. Und die - wie eine Studie der Arbeiterkammer zeigt -, meist niedrig entlohnt werden.

Die übrigen Wirtschaftsbereiche wurden zur Gänze heruntergefahren oder zumindest stark gedrosselt. Alles, was nicht dem Grundbedarf - Lebensmittel, Hygieneartikel, Medikamente - zuzurechnen war, konnte für eine geraume Zeit weitgehend nur im Online-Handel bestellt werden, einem der großen Gewinner der Krise. Geschlossen waren auch Friseurläden, Gasthäuser und Restaurants, Fitness- und Massagestudios und vieles mehr. Hier kam der Wirtschaftskreislauf zum Erliegen, die Nachfrage brach ein. Selbstverständlich stockten auch die Investitionen der Unternehmen. Diese schickten einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Belegschaften in Kurzarbeit oder in die Arbeitslosigkeit. Am Höhepunkt der Krise verzeichnete Österreich 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit und 500.000 Arbeitslose. Das Wifo prognostizierte für die österreichische Wirtschaft im April einen Wachstumseinbruch von 5 Prozent für das Jahr 2020.

Der Staat als Krisenmanager

Wie soll nun die Wirtschaft wieder hochgefahren werden? Darüber sind heftige Debatten entbrannt - und das ist gut so in einer Demokratie. Der Staat ist in der Krise stärker als je zuvor zum Krisenmanager geworden. Selbst Neoliberale anerkannten - zumindest vorübergehend - seine führende Rolle. Viele Branchen und Betroffenengruppen klagen nun über Einbußen aufgrund der Pandemiemaßnahmen und melden Unterstützungsansprüche an. Beim Wiederhochfahren der Wirtschaft kommt es darauf an, wer sich wie stark im Unterstützungskarussell durchsetzen und Hilfe erhalten wird. Die Gefahr der einfachen Rückkehr zum Status quo ante ist groß, Förderungen würden dann vergeben nach den geltend gemachten Einbußen durch den Lockdown. Dem steht die berechtigte Forderung entgegen, der Rettung eine Richtung zu geben, die Krise und die gestärkte Rolle des Staates also für den gebotenen ökologischen und sozialen Strukturwandel zu nutzen. Die Gemeinwohlbilanz böte sich etwa als Vorgabe an.

Mit dem "European Green Deal", der bereits vor der Corona-Krise angedacht war, sollen überfällige Maßnahmen wie der Ausbau der europäischen Bahnnetze, die Förderung erneuerbarer Energie sowie neuer Antriebe und insbesondere die thermische Sanierung des Gebäudebestandes vorgetrieben werden. Auch die österreichische Bundesregierung hat ein Klimapaket in diesem Sinne verabschiedet; Millionen fließen in den Ausbau der Bahninfrastruktur.

Die zweite Frage bezieht sich auf die soziale Ausgewogenheit der Rettungsmaßnahmen. Sollen Konzerne, die Mittel für Kurzarbeit erhalten, Dividenden ausschütten dürfen? Und wenn ja, bis zu welcher Höhe? Die dänische Regierung etwa hat dies untersagt. Sind Managergehälter und saftige Boni gerechtfertigt, wenn viele Arbeitnehmer Gehaltseinbußen durch Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen müssen? Zeitgerecht hat die Arbeiterkammer auch dazu eine aktuelle Erhebung präsentiert: Der durchschnittliche Gehalt eines Managers eines an der österreichischen Börse notierten Unternehmens betrug 2019 das 57-Fache eines mittleren Einkommens in Österreich: satte 1,86 Millionen Euro brutto. Knapp die Hälfte davon entfallen auf variable Gehaltsbestandteile, also Boni.

Dazu kommt natürlich die Frage auf uns zu, wer die nun aufgenommenen Schulden der öffentlichen Hand wieder abbezahlen wird - ein trotz aktuell niedriger Zinsen kein zu vernachlässigender Aspekt der Krise. Das verabschiedete EU-Unterstützungspaket von 700 Milliarden Euro soll, so EU-Kommissar Hahn kürzlich in einem Interview, nicht über höhere Beiträge der Mitgliedsstaaten, sondern über neue EU-Steuern - speziell für Digitalkonzerne - abgestottert werden. Auch eine Plastiksteuer ist im Gespräch. In der Schweiz wird über die Einführung einer Erbschaftssteuer diskutiert, ein Unterfangen, das in Österreich trotz Vorstoßes des Vizekanzlers, von seinem Regierungspartner rasch wieder vom Tisch gefegt wurde. Doch die Frage, wer für die Schulden aufkommen wird, bleibt. Allein die Hoffnung, dass diese durch die erneut wachsende Wirtschaft über auf diesem Weg hereingespülte Steuern zu bewerkstelligen sein wird, wie Keynesianer meinen, wird wohl nicht reichen.

Umverteilung ist angesagt

Der Konsumkapitalismus ist in einer doppelten Krise: Seine Früchte werden immer ungleicher verteilt, und der Boden, auf dem die produzierten Güter - bildlich gesprochen - wachsen, trocknet aus. Die soziale und die ökologische Frage erfordern neue Antworten. Es kann nicht mehr Aufgabe des Staates sein, allen immer mehr Wohlstand aus einem immer weiterwachsenden Kuchen zu versprechen. Die Abkehr von der Status-quo-Sicherung auch für Besserverdienende darf kein Tabu mehr sein. Umverteilung ist angesagt. Wer mehr hat, kann und soll auch mehr zur Krisenbewältigung sowie generell zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beitragen. Neben dem Argument der Fairness gibt es auch ein ökologisches: Menschen mit höherem Einkommen beziehungsweise Vermögen sind nachweislich auch größere Umweltsünder. Was naheliegt, denn sie haben die meisten Möglichkeiten, Geld auszugeben, in der Welt herumzujetten, sich Luxus zu leisten. Die 10 Prozent Vermögendsten der Welt sind laut dem Ungleichheitsforscher Thomas Piketty für annähernd die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der auf permanentes Wachstum ausgelegte Konsumkapitalismus war schon vor der Krise alles andere als zukunftsfähig. Die Politikwissenschafter Ulrich Brand und Markus Wissen haben hierfür den passenden Begriff der "imperialen Lebensweise" geprägt. Die Wohlhabenderen verprassen nicht nur Geld, sondern verspielen auch die Zukunft nachfolgender Generationen.

Wenn wir eine Lehre aus der Krise ziehen können, dann ist es die Erkenntnis, dass der ressourcenverschwenderische Konsumstil nicht aufrechterhalten werden kann. Konsumieren auf "Teufel komm raus", um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, kann daher nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wenn Wachstum ein Ersatz für Verteilung war - nach dem Motto "Backen wir einen immer größeren Kuchen, um niemandem etwas wegnehmen zu müssen" -, dann ist Verteilung auch eine passende Antwort für die Abkehr von der Wachstumsabhängigkeit. Der Staat hätte dann vordringlich die Aufgabe, die Versorgung mit öffentlichen Gütern sicherzustellen - von exzellenten Schulen und Ausbildungsstätten über Wohnraum, der für alle leistbar ist, bis hin zu öffentlichen Infrastrukturen, die dem Gebot der Nachhaltigkeit und dem gleichen Zugang aller entsprechen.

Zudem wäre es Aufgabe des Staates, die Grundsicherung aller seiner Bürger zu gewährleisten - diskutiert wird hier ein breites Spektrum an Strategien von einer allgemeinen Bürgerversicherung bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen aus einer digitalen Dividende, allein aus Nachfragegründen: Maschinen konsumieren nicht, das tun nur Menschen. Als steuernder Akteur hätte der Staat zudem die dringliche Aufgabe, steuerliche Anreize so zu setzen, dass hohe Einkommen und Vermögen an Attraktivität verlieren, neue Arbeitszeitmodelle, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, zu fördern und die Umwelt schützendes beziehungsweise weniger belastendes Verhalten zu belohnen statt zu bestrafen, wie derzeit häufig der Fall. Nicht mehr Aufgabe des Staates wäre es etwa, Luxuspensionen mit Zuschüssen mitzufinanzieren. Gelingt diese Umverteilung nicht, droht soziales Chaos: Die aktuellen Ereignisse in den USA geben einen Vorgeschmack.

Mehr Genügsamkeit

Der Öko-Vordenker Ernst Ulrich von Weizsäcker meinte jüngst bei den "Toleranzgesprächen" in Fresach, dass wir in Zukunft mehr Genügsamkeit brauchen werden. Das ist das Gegenteil eines erneuten Hochfahrens der Wirtschaft durch Konsumanreize wie Prämien für den Kauf neuer Autos (die Autoindustrie stellt da in verwirrender Absicht ein "Öko-" voran). Das bedeutet aber auch nicht die Rückkehr in die Steinzeit oder - wie es mir ein Journalist einmal auf Facebook vorgeworfen hat - auf den Status der Amish, ohne Strom und Technik. Es geht um eine ausbalancierte Gesellschaft, in der die Grundbedürfnisse aller gesichert sind und keiner Angst haben muss, hinauszufallen.

Wer meint, mit einer freiheitlichen Grundordnung sei dies nicht vereinbar, sei daran erinnert, dass die eigene Freiheit schon immer dort zu begrenzen ist, wo sie jene anderer bedroht. Was bei der Kriminalität oder in der Straßenverkehrsordnung gilt, muss künftig auch bei Umweltbelangen gelten. Und dass Eigentum verpflichtet, ist in etlichen Verfassungen nachzulesen. Wir hätten dann einen nicht nur gezähmten, sondern auch geschrumpften Kapitalismus bei gleichzeitiger Ausweitung des öffentlichen Sektors, der "systemrelevante" Tätigkeiten auch nach der Pandemie in den Mittelpunkt stellt und entsprechend honoriert. Dies bedeutet keinen Gluckenstaat, sondern einen ausgleichenden und steuernden Staat.