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Baustellen im Unesco-Welterbe

Von Christian Schuhböck

Gastkommentare

Die zunehmende Verbauung rund um den Neusiedler See stellt eine Gefahr für die grenzüberschreitende Kulturlandschaft dar.


Der Neusiedler See ist ein mehrfach geschützter Steppensee, ein europaweit bedeutendes Vogelreservat, ein international anerkannter Nationalpark und ein grenzüberschreitendes Unesco-Welterbe der Vertragsstaaten Österreich und Ungarn. Als größter abflussloser Steppensee Mitteleuropas umfasst der Neusiedler See eine Fläche von rund 320 Quadratkilometern, wovon knapp 180 Quadratkilometer auf den Schilfgürtel entfallen. Die große Vielfalt an Lebensräumen ermöglicht einen hohen Artenreichtum an teils seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten.

Für die Aufnahme des Gebietes Fertő/Neusiedler See in die Unesco-Welterbe-Liste war das Bestehen einer weltweit einzigartigen Kulturlandschaft ausschlaggebend, die an der Schnittstelle mehrerer Natur-, Kultur- und Sprachräume liegt und somit Natur und Kultur der Region in einem wahrhaft grenzüberschreitenden Sinn repräsentiert. Seit geraumer Zeit finden jedoch rund um den See rigorose Verbauungen statt, die das Natur- und Kulturerbe in hohem Maße beeinträchtigen und in seinem Fortbestand bedrohen.

Zum einen werden direkt in den Schilfgürtel teils bis auf die freie Seefläche reichende Inseln angelegt, auf denen Häuser und Villen errichtet werden. Zum anderen werden Hotels und Restaurants direkt am Seeufer gebaut, um eine touristische Vermarktung des Neusiedler Sees über das ganze Jahr hindurch zu ermöglichen. Angeheizt durch Immobilienspekulationen, erfährt dieser Bauboom mittlerweile derart heftige Kritik, dass sich in Österreich und Ungarn Bürgerinitiativen gegen die Verbauung des Neusiedler Sees gebildet haben. Die Authentizität und Unversehrtheit des länderübergreifenden Unesco-Welterbes "Kulturlandschaft Fertő/Neusiedler See" werden durch die bereits stattfindenden Baumaßnahmen zunehmend geschmälert und drohen in absehbarer Zeit gänzlich verloren zu gehen.

Schnittpunkt vieler Kulturen, hohe Biodiversität

Der Neusiedler See war auf der prähistorischen Handelsroute zwischen Adria und Ostsee ein Schnittpunkt vieler Kulturen. Hier trafen germanische, slawische und finno-ugrische Bevölkerungsgruppen aufeinander, und noch heute weist die Region eine außergewöhnliche ethnische Vielfalt auf. Zeugen der kontinuierlichen und bewegten Siedlungsgeschichte seit frühesten Zeiten sind zahlreiche archäologische Denkmäler, wie etwa die Steinbrüche in St. Margarethen und Fertőrákos. Durch Abholzung, Entwässerung, Jagd und Beweidung haben die hier lebenden Menschen über die Jahrhunderte eine Kulturlandschaft geschaffen, in der die wirtschaftliche Nutzung und die Erhaltung der naturnahen Lebensräume bis vor einigen Jahren in Einklang standen.

Die Landschaft wird zu einem beachtlichen Teil durch Schilf, Wasser und Weinberge geprägt. Dass der Weinbau stets eine bedeutende Rolle einnahm, spiegelt auch die regionale bäuerliche Architektur wider. Bis heute finden sich in den Orten rund um den See Kellergewölbe, Presshäuser und Kellergassen und bilden in den Zentren noch immer harmonische Ensembles oder lassen alte Ortsstrukturen erkennen. Ein Beispiel für ein bedeutendes ungestörtes Ortsgefüge mit alter Bausubstanz ist die von einer Stadtmauer umgebene Altstadt der Freistadt Rust, die geschlossen unter Denkmalschutz steht.

Als Teil der Kleinen Ungarischen Tiefebene grenzt das Gebiet des Neusiedler Sees unmittelbar an den Ostrand der Zentralalpen. Die weite, ebene Landschaft des pannonischen Raums weist eine Vielfalt an Lebensräumen auf, die von lichten Eichenwäldern über Salzgebiete, ausgedehnte Schilf- und Wasserflächen bis zu steppenähnlichen Grasfluren reicht. Am Kreuzungspunkt der alpinen und pannonischen Großlandschaften treffen Tier- und Pflanzenarten unterschiedlicher Herkunft aufeinander.

Die Grenzlage beeinflusste auch die historische Entwicklung des im Einflussbereich verschiedener Machtbereiche gelegenen Gebietes. Bis in die jüngere Zeit herrschte eine extensive, naturnahe Landnutzung vor, die wesentlich zum Reichtum und zur Erhaltung des Naturraumes beigetragen hat. Die Artenvielfalt, die Diversität an Lebensgemeinschaften und die kulturelle Entwicklung kennzeichnen das Gebiet des Neusiedler Sees als einen Naturraum von internationaler Bedeutung.

Zwischen Alpen und Puszta gelegen, bietet die Region einen einzigartigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere aus dem alpinen, pannonischen und mediterranen Bereich. Im Nationalpark "Neusiedler See/Seewinkel", dem einzigen Steppennationalpark Mitteleuropas, finden sich an den nahezu 45 Lacken rund 300 seltene Vogelarten zum Brüten ein. Darüber hinaus ist der Nationalpark ein wichtiger Knotenpunkt für den Vogelzug von Nordeuropa und Sibirien zum afrikanischen Kontinent. Auch exotische Landbewohner wie die Südrussische Tarantel oder der Mondhornkäfer sind hier anzutreffen.

Die Region ist in mehrfacher Hinsicht von nationaler und internationaler Bedeutung. Als eines der wichtigsten Vogelreservate und Feuchtgebiete Europas genießt der Neusiedler See mehrfachen nationalen und internationalen Schutz:

Landschaftsschutzgebiet und Teilnaturschutzgebiet in Österreich seit 1977 (Pflanzen-, Tier- und Vogelschutzgebiet);

Unesco-Biosphärenreservat seit 1977 (Österreich) beziehungsweise 1979 (Ungarn);

Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung gemäß Ramsar-Konvention seit 1982;

grenzüberschreitender und international anerkannter Nationalpark seit 1991 (Ungarn) beziehungsweise 1993 (Österreich);

Natura-2000- und Europaschutzgebiet seit 1996;

grenzüberschreitendes Unesco-Weltkulturerbe seit 2001.

Gemeinsam mit den kleinen Seen (Zicksee, Kirchsee etc.) und Lacken (Lange Lacke, Fuchslochlacke etc.), den Ortschaften (Rust, Illmitz etc.), dem Schloss Esterházy in Fertőd und den umliegenden Weinbergen wurde der Neusiedler See als Kulturlandschaft gemäß Welterbe-Richtlinien klassifiziert und als Kulturerbe in die "Liste des Erbes der Welt" der Unesco eingetragen.

Proteste und langes Warten auf Masterplan

Seit geraumer Zeit sind jedoch auf österreichischer Seite des Neusiedler Sees Tourismusprojekte in Planung, in Bau oder bereits fertiggestellt, die das Unesco-Welterbe zunehmend beeinträchtigen und in seinem Fortbestand bedrohen. In Oggau soll ein Villenpark mit einer Gesamtfläche von 63.800 Quadratmetern entstehen. In Breitenbrunn soll das Seebad durch eine Marina, ein Seerestaurant, mietbare Lodges und ein Wassersportzentrum ausgebaut werden. In Jois wird die bereits aus 70 Häusern bestehende künstliche "Inselwelt" um 11 Villen erweitert und vergrößert. In Neusiedl am See sollen 23 private Seehäuser und ein Seehotel errichtet werden. In Weiden am See steht nun ein neues zweigeschoßiges Restaurant direkt am Seeufer.

Auf ungarischer Seite, wo nur ein direkter Zugang zum See besteht, soll das Strandbad von Fertörákos rigoros ausgebaut werden. Das Tourismusprojekt sieht auf einer Fläche von 136.000 Quadratmetern einen Freizeitpark mit mehreren Sportplätzen, ein Hotel und ein Motel, Anlegeplätze für 400 Segelschiffe und 350 Paddelboote sowie 880 Parkplätze vor.

Die Tourismusprojekte rund um den See riefen in Österreich bereits im Jahr 2017 Bürgerinitiativen auf den Plan, in deren Auftrag die aufs Unesco-Welterbe spezialisierte Natur-, Kultur- und Landschaftsschutzorganisation Alliance For Nature eine Dokumentation zur Auslösung des "Icomos Heritage Alert" erarbeitete. Die Unesco-Welterbestätte sollte in einem ersten Schritt auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt werden. Renommierte Medien wie die "Wiener Zeitung" berichteten darüber, die burgenländische Landesregierung reagierte und gab einen Masterplan unter dem Motto "Schützen durch Nützen" in Auftrag, um die Interessen von Naturschutz, Welterbe, Verkehr und Tourismus aufeinander abzustimmen. Doch der Masterplan wurde bis dato nicht erstellt, während die Tourismusprojekte Schritt für Schritt realisiert werden.

UVP in Ungarn hätte auch für Projekte in Österreich Folgen

War ursprünglich nur eine Erneuerung und Modernisierung des Strandbades in Fertőrákos vorgesehen, entwickelten sich dessen Pläne zu einem Mega-Tourismusprojekt mit einer Investitionssumme von umgerechnet 75 Millionen Euro. 2019 bildete sich auch in Ungarn Widerstand gegen die Verbauung des Sees. Im Rahmen einer länderübergreifenden Presseschifffahrt unterzeichneten im September 2019 die österreichischen und ungarischen "Freunde des Neusiedler Sees" sowie andere Nichtregierungsorganisationen die von Alliance For Nature aufgesetzte "Resolution zum Schutz des Neusiedler Sees vor weiterer Verbauung mit Forderung nach einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung", die von Ungarn abgelehnt wird.

Auf Basis der Resolution beschloss sodann der burgenländische Landtag Mitte November 2019 einstimmig, dass er sich zum Schutz und zum langfristigen Erhalt der Welterbestätte "Kulturlandschaft Fertő/Neusiedler See" bekennt. Zudem wurde die Landesregierung aufgefordert, neuerlich an die österreichische Bundesregierung heranzutreten, damit diese die ungarischen Stellen zwecks Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) hinsichtlich des Projektes in Fertőrákos kontaktiere. Insider befürchten jedoch, dass sowohl die österreichische Bundesregierung als auch die burgenländische Landesregierung nur schaumgebremst die ungarische Regierung zu einer grenzüberschreitenden UVP auffordern werden, da dieser dann eventuell auch die österreichischen Tourismusprojekte unterzogen würden.