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Das Risiko an der Börse

Von Dieter Wimmer

Gastkommentare

In Krisenphasen gilt es auf Qualitätswachstum zu setzen.


Corona hat die Börsen weiter im Griff. Vor allem die Unsicherheit über die weitere Entwicklung sorgt für Nervosität. Wo Prognosen schwierig werden, helfen harte Fakten. Damit kommt es beim Investieren einmal mehr auf die Qualität der Unternehmen an. Selten war der Vergleich mit einer Achterbahnfahrt an den globalen Finanzmärkten so zutreffend wie in diesen Tagen. Schließlich haben der Kampf um die Eindämmung des hochansteckenden Coronavirus und seine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft die Entwicklung an den internationalen Märkten seit Mitte Februar weitgehend dominiert. Führende Indizes brachen in Folge von Pandemie und Lockdown zeitweise um bis zu 12 Prozentpunkte ein.

Auslöser der drastischen Kurseinbrüche binnen weniger Tage war eine toxische Mischung aus Gewinnwarnungen zahlreicher Unternehmen, gekürzten Wachstumsprognosen für die Wirtschaft und schlechter Stimmung vieler Manager und Ökonomen, die eine globale Rezession als unvermeidlich sehen. Hinzu kamen historisch einmalige Verwerfungen an den Rohstoffmärkten: Erstmals in der Geschichte war der Preis für einen Terminkontrakt auf die US-Ölsorte West Texas Intermediate (WTI) ins Minus gerutscht.

Doch ungeachtet der skeptischen EZB-Prognose zu den konjunkturellen Aussichten der Eurozone Anfang April, die die Märkte abermals verunsichert zurückließ, haben sich inzwischen die wichtigsten Indizes von ihren Verlusten wieder erholt. Diese Kurserholung ist allerdings mit großer Vorsicht zu genießen, da sie sich als trügerisch herausstellen könnte. Denn ungeachtet der jüngsten Marktentwicklung sind die globalwirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie noch ungewiss.

Große Verunsicherung und enorme Kursschwankungen

Was bleibt, ist die große Verunsicherung unter Anlegern und Investoren mit Blick auf die kommenden zwölf Monate und die berechtigte Frage, welche Anlagestrategie sich in dieser "Brave New World" mit zurückgekehrter Volatilität an den Märkten als erfolgreich identifizieren lässt. Denn auch wenn viele Kapitalmarktstrategen davon überzeugt sind, dass die globalwirtschaftlichen Folgen der Pandemie zumindest mittelfristig eingedämmt werden können und sich die Märkte wieder beruhigen werden, dürften enorme Kursschwankungen erst einmal zum Alltag gehören.

Vor diesem Hintergrund rückt das Risikomanagement in den Fokus vieler Investoren. Der Unterschied in den verschiedenen Anlagestrategien liegt vor allem darin, was die Portfoliomanager unter Risiko verstehen und wie sie damit umgehen. So ist vor allem für institutionelle Investoren das Abweichen von der Benchmark eine relevante Risikogröße. Entsprechend steht für viele Fondsmanager der Tracking Error, also die Abweichung der Portfolio-Renditen von der Rendite eines Vergleichsindex, im Mittelpunkt des Interesses. Das ist zwar durchaus nachvollziehbar, doch wäre es falsch, einen hohen Tracking Error mit einem erhöhten Risiko gleichzusetzen und umgekehrt.

Denn was bedeutet Risiko im ursprünglichen Sinne? Für einen Anleger in Aktien entsteht Risiko aus dem Fehlen eines langfristigen Wachstumspotenzials, dem Verfall von Kapitalrenditen oder aber einer verfehlten Kapitalallokation von Unternehmen. Umgekehrt sind die richtigen Investitionen zur rechten Zeit Quelle von langfristiger unternehmerischer Wertschöpfung und Gewinnwachstum. Fondsmanager, die Risiko nicht als relative, sondern als absolute Größe verstehen, konzentrieren sich vor allem auf die Qualität der Unternehmen.

Qualität wird dabei als Potenzial der Wertsteigerung durch langfristig stabiles Gewinnwachstum definiert. Merkmale sind etwa hohe Markteintrittsbarrieren, Preissetzungsmacht oder die Fähigkeit, wiederkehrende Erträge zu erzielen und den Marktanteil zu steigern. Dabei spielt es in der Regel keine Rolle, ob das Unternehmen in der Benchmark des Fonds zu finden ist oder nicht, da der Anlageansatz der Manager nicht von der Zusammensetzung eines Index bestimmt wird - der häufig auf der reinen Marktkapitalisierung beruht -, sondern einzig und allein von der Qualität der jeweiligen Unternehmen.

Dieser Investmentansatz erlaubt die Konzentration auf einige wenige Titel im Portfolio. Was auf den ersten Blick nach erhöhtem Risikopotenzial durch geringe Diversifizierung klingt, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als folgerichtige Entscheidung bei der Suche nach Qualitätswachstumsaktien. So zeichnen sich Unternehmen mit den oben genannten Qualitätsmerkmalen vor allem durch eine hohe Vorhersehbarkeit des langfristigen Wachstumspfades aus. Dadurch mildern sie die Volatilität eines Portfolios und helfen, negative Überraschungen und Begleiterscheinungen zu vermeiden.

Unter Berücksichtigung der noch weitgehend unbekannten Folgen der Corona-Pandemie hat es im aktuellen Marktumfeld daher wenig Sinn, mit historischen Daten und Vergleichen zu arbeiten, die im klassischen Risikomanagement immer noch häufig zum Einsatz kommen. Zumindest hat sich die konsequente Umsetzung des oben beschriebenen Qualitätswachstumsansatzes für Comgest immer wieder als nützlicher Schutzschild gegen makroökonomische Turbulenzen erwiesen. Zwar haben auch unsere Fonds seit Ausbruch der Krise in der Breite gelitten. Doch gegenüber ihren jeweiligen Vergleichsindizes fällt ihr Drawdown weit niedriger aus, sie konnten das erste Quartal 2020 mehrheitlich mit einer positiven relativen Performance abschließen.

Doch wie sieht Qualitätswachstum in der Praxis aus? Mit Blick auf China, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, sind wir trotz kurzfristiger Unsicherheit zuversichtlich, dass es als erstes Land zur Normalität zurückfinden wird. In China kann man die positiven Begleiterscheinungen der Pandemie beobachten.

Chancen für langfristig orientierte Investoren

Die Digitalwirtschaft zum Beispiel gewinnt schon länger an Bedeutung. Aber infolge der Corona-Krise nutzen immer mehr Chinesen das Internet, um Filme anzusehen, für Einkäufe, virtuelle Treffen und vieles mehr. Als einer der größten Profiteure der vergangenen Monate erweist sich dabei der Internet-Gigant Tencent, zu dessen Schwerpunkten Soziale Netzwerke, Gaming und Fintech-Dienste zählen. Tencent ist ein klassischer Covid-19-Hedge, da die Menschen vermehrt daheim blieben und viel Zeit vor ihren Bildschirmen verbrachten. Allerdings ist die Entwicklung auch unabhängig von der Pandemie langfristig vielversprechend.

Die Investition in Qualitätswachstumsaktien braucht immer auch eine langfristige Perspektive. Ein Beispiel ist der deutsche Triebwerksspezialist MTU Aero Engines, der mit 23. September 2019 nach einem Kursplus von 750 Prozent im Verlauf von zehn Jahren vom MDax in den Dax aufstieg. Die jüngsten heftigen Kursverluste von MTU mögen zwar auf den ersten Blick verständlich sein, schließlich ist der weltweite Luftverkehr wegen der Pandemie fast vollständig ausgesetzt und der Absatz neuer Flugzeuge in den nächsten Monaten mehr als fraglich. Dennoch erscheint der Kursabschlag übertrieben, da das Wartungsgeschäft (50 Prozent des Umsatzes) so schnell nicht wegbrechen dürfte. Denn sobald sich eine Wiederaufnahme des Luftverkehrs abzeichnet, dürfte sich die Nachfrage in dieser Sparte beleben.

Die Situation an den Börsen dürfte volatil bleiben. Langfristig orientierten Investoren bietet dieses Umfeld aber auch Gelegenheiten, zu günstigen Kursen in vielversprechende Firmen zu investieren. Bisher erwiesen sich jene Geschäftsmodelle als krisenresistent, die strenge Qualitätskriterien erfüllen. Genau hier liegen die größten Chancen in der Krise.