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Wer pflegt, verliert

Von Barbara Blaha

Gastkommentare
Barbara Blaha leitet die sozialliberale Denkfabrik Momentum Institut in Wien. privat

Zwei von drei Österreichern - vor allem Frauen - werden einmal pflegen.


Plombierte Züge und eine Luftbrücke: Was wie in einem Katastrophenfilm anmutet, avancierte für die Bundesregierung in der Corona-Pandemie zur "Lösung" des akuten Pflegenotstandes. Nachdem sich überall in Europa die Schlagbäume gesenkt hatten, gab es plötzlich kein Durchkommen mehr für die rund 60.000 osteuropäischen Pflegerinnen, die bei uns einen wichtigen Teil der Altenpflege sicherstellen. Also ließ man sie kurzerhand via Flugzeug und Sonderzüge ins Land schaffen und wochenlang durcharbeiten - bei einem Mini-Gehalt. Vom versprochenen Bleib-da-Bonus haben viele bis heute nichts gesehen.

Die Pflegekrise wird auf dem Rücken schlecht bezahlter Menschen abgeladen. Bei gerechter Bezahlung könnte sich wiederum fast niemand eine Heimpflegekraft leisten. Das gedachte System funktioniert schlicht nicht. Aber es ist auch kein Naturgesetz, die Pflege so zu regeln.

Familienmitglieder betreuen vier von zehn Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher ganz allein. Pflege geht uns alle an: Fast zwei Drittel aller Österreicher werden im Laufe ihres Lebens Familienmitglieder pflegen.

Die Hauptlast tragen dabei Frauen. Sie pflegen um 50 Prozent häufiger und auch wesentlich intensiver als Männer. So kommen Frauen auf durchschnittlich 27 Wochenstunden Pflegearbeit, Männer nur auf 22. Frauen im Alter zwischen 46 und 65 Jahren kümmern sich besonders oft um Angehörige. Das verringert ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt beträchtlich. Verschärft wird diese Tendenz dadurch, dass Frauen pflegebedingt die Stundenanzahl im Job reduzieren oder gar nicht mehr arbeiten gehen. Und all das, nachdem sie fast immer schon ähnliche Nachteile erlebt haben, weil sie die Kinderbetreuung übernommen haben. Altersarmut von Frauen wird damit Vorschub geleistet. Schon heute liegt die durchschnittliche Pension von Frauen mit 1.133 Euro brutto pro Monat um fast 50 Prozent unter jener von Männern. Pflegearbeit wirkt sich allzu oft aber auch negativ auf die psychische Gesundheit von Pflegenden aus. Mehr als ein Drittel von ihnen klagt über Depressionen und Niedergeschlagenheit.

Dass es so im heimischen Pflegewesen nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Um die enorme Belastung Angehöriger zu verringern, braucht es massive öffentliche Investitionen in die Pflegeinfrastruktur. Tageszentren und mobile Pflegedienste, die eine hohe Lebensqualität für alle garantieren können, die sie benötigen, müssen in jeder Gemeinde flächendeckend und kostenlos zur Verfügung stehen. Notwendig sind aber auch eine bessere Bezahlung und eine 35-Stunden-Woche, um diesen schwierigen und anstrengenden Beruf zu attraktivieren. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass in den nächsten Jahren bis zu 75.000 Pflegekräfte fehlen werden.

Und nur so - und nicht mit bloßem Balkonklatschen - lassen wir jenen, die den Pflegeberuf ausüben, auch die entsprechende Anerkennung zuteilwerden. Der Ausbau öffentlich finanzierter Pflege schafft in jedem Fall viele neue Arbeitsplätze. Gerade in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren ist das ein ökonomischer und gesellschaftspolitischer Imperativ.